Blood for Dracula
Kritik

Andy Warhol’s Dracula (1974) – Review

Mit Andy Warhol’s Dracula gelingt Regisseur Paul Morrissey ein ebenso eigenwilliger wie eindringlicher Genre-Beitrag. Mit dem klassischen Blutsauger hat sein androgyner Vampir, gespielt von Udo Kier, nur noch wenig zu tun und sticht gerade darum aus der Masse an Dracula-Filmen heraus.

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Regie:
Drehbuch:
Cast:

Blood for Dracula
Italien, Frankreich
103 Minuten
Paul Morrissey
Paul Morrissey
Joe Dallesandro, Udo Kier, Vittorio De Sicca u.a.

Inhalt & Hintergründe

Graf Dracula (Udo Kier, Hexen bis aufs Blut gequält) steht kurz vorm Hungertod, denn in Transsilvanien gehen die Jungfrauen zur Neige, deren Blut er zum Überleben braucht. Widerwillig lässt er sich darum auf den Plan seines Dieners Anton ein, stattdessen ins erzkatholische Italien überzusiedeln. Dort befreundet er sich mit dem mittellosen Marchese di Fiori, der schnell bereit ist, eine seiner vier Töchter an den wohlhabenden Aristokraten zu verheiraten. Doch die sind längst nicht so unschuldig, wie der Graf es sich erhofft, denn der potente Stallbursche Mario (Joe Dallesandro, Die Saat des Todes) schwingt mehr als nur kommunistische Parolen. Als der Knecht hinter das Geheimnis des bleichen Gastes kommt, muss Dracula endgültig um sein untotes Leben fürchten. Wird er die wahre Jungfrau finden, bevor ein Pflock in seinem Herzen landet?

Nachdem Pop-Art-Papst Andy Warhol 1968 bei einem Mordversuch der radikalen Feministin Valerie Solanas lebensgefährlich verletzt wurde, übernahm sein Regieassistent Paul Morrissey fortan das Filmemachen für Warhols „Factory“. Stilistisch bedeutete das einen Wandel vom Experimentalfilm zu kommerzieller ausgerichteten und exploitativen B-Movies wie der Underground-Trilogie oder Andy Warhol’s Frankenstein. Dieser wurde vor Drehplan beendet, weshalb man die Dreharbeiten für Andy Warhol’s Dracula nahtlos anschloss. „Wir machten eine Mittagspause, einige Darsteller bekamen neue Haarschnitte verpasst und am Nachmittag begannen wir mit Dracula.“, erinnert sich Morrissey. „Ihren Text bekamen die Darsteller erst am Morgen und lernten ihn, während die Beleuchtung aufgebaut wurde.“

Kritik

Andy Warhol bewies ein gutes Gespür, als er seinem Mitarbeiter Paul Morrissey den Regiestuhl antrug: Mit Andy Warhol’s Dracula liefert er zweifellos einen der ungewöhnlichsten Beiträge zum Vampir-Genre ab. Sein Blutsauger ist weder ein bösartiges Monster noch ein düsterer Verführer, sondern ein schwacher und zartbesaiteter Ästhet. Dass er nur das Blut einer Jungfrau verträgt, wirkt seltsam degeneriert und lässt ihn als Opfer der eigenen Dekadenz erscheinen – im Gegensatz zu den anderen Figuren hängt er jedoch an seinen Werten, mögen sie auch noch so überkommen sein. Udo Kier bewies für seine Rolle als kränklicher Vampir vollen Körpereinsatz: Zehn Kilogramm hungerte er sich innerhalb einer Woche von den Rippen und konnte sich am ersten Drehtag kaum mehr auf den Beinen halten.

Blood for Dracula

Andy Warhol’s Dracula setzt neue Impulse, indem er sich zugleich innerhalb wie außerhalb des Vampir-Genres bewegt. Morrissey bedient einige Konventionen, während er andere persifliert – so schlürft sein gescheiterter Verführer in einer besonders demütigenden Szene das Menstruationsblut der Schwestern vom Boden auf oder liegt wie ein Drogensüchtiger auf Entzug am ganzen Körper zitternd in seinem Bett. Dracula ist der modernen Welt vollständig entfremdet, das wird schon an seinem Äußeren und nicht zuletzt am exzentrischen Spiel Udo Kiers deutlich, aus denen die Stummfilmästhetik längst vergangener Tage spricht. Sein potenter Widersacher, nicht zufällig verkörpert von 70er-Jahre-Sexsymbol Joe Dallesandro, unterscheidet sich schon durch sein extrem zurückgenommenes Spiel vom tragischen Vampir.

Blood for Dracula

Zwar hatte der Film mit deutlich weniger Zensurproblemen zu kämpfen als Andy Warhol’s Frankenstein, dennoch kommt der Sex auch in Morrisseys eigenwilliger Dracula-Adaption nicht zu kurz. Der Biss des Vampirs ist hier keinesfalls nur eine brave Metapher für den Geschlechtsakt – Dracula masturbiert, während des Bisses bewegt er sich in rhythmischen Stoßbewegungen und auch die Opfer stöhnen ekstatisch. In für die damalige Zeit recht expliziten Softporno-Sequenzen zeigt der Film außerdem die Schwestern im innigen Liebesspiel sowohl mit Mario als auch untereinander. Der glücklose Graf hat indes wenig beizutragen: Während der Stallbursche sich mit seinen Geliebten vergnügt, muss der Vampir sich nach dem Biss der „falschen“ Jungfrau minutenlang übergeben.

Der traditionelle Vampir kann in der modernen Welt nicht bestehen, stattdessen wird der vitale Stallknecht Mario zum Verführer der Frauen. Ob das ein Grund zur Freude ist, darf bezweifelt werden. Die Gegenspieler Draculas sind ihm nämlich moralisch nicht überlegen, sondern verhalten sich vielfach monströser als der Vampir. Der Marchese di Fiori kann seine Töchter gar nicht schnell genug an den potentiellen Ehemann verschachern, um den eigenen Wohlstand durch eine Finanzspritze wiederherzustellen, und der Stallbursche Mario verachtet seine aristokratischen Geliebten zwar aufgrund seiner marxistischen Gesinnung zutiefst, lässt sich dadurch aber nicht vom Sex mit ihnen abhalten.

Blood for Dracula

Andy Warhol’s Dracula hat indes seine ganz eigene Art, die eigentlichen Ambitionen der Protagonisten subtil offenzulegen. Als die Marchesa im Gespräch mit ihren Töchtern die liebevollen Qualitäten des Grafen herausstellt und die eigenen finanziellen Interessen an dieser Verbindung unter den Tisch fallen lässt, wird die Unterhaltung vor einer unverputzten und gammeligen Steinwand geführt, deren Renovierungsbedürftigkeit nicht zu übersehen ist. Mario wiederum entjungfert die jüngste Tochter, angeblich um sie vor dem Zugriff des Vampirs zu schützen – dass sich die Tat ausgerechnet unter einem Gemälde mit klassischer Jagdszene abspielt, macht deutlich, um was es ihm bei dieser Vergewaltigung eigentlich geht.

Der Film führt uns den schönen Schein vor Augen und entlarvt die handelnden Personen als Schauspieler, die ganz im Sinne der eigenen Interessen den anderen etwas vorspielen: Der Vampir tritt als Mensch auf, die Töchter geben sich als Jungfrauen aus und Mario stilisiert sich zum Beschützer der Familie. Auf welch ruinösem Grund diese Selbstdarstellung fußt, demonstriert eindrucksvoll schon die Anfangssequenz des Films, ein Close-Up von Dracula bei der Make-Up-Routine. Blass wie der Tod, mit blutleeren Lippen und ausdruckslosem Blick, sitzt er vor dem Spiegel und trägt seine Maskerade auf. Die Charaktere durchleben ihren körperlichen, moralischen und ökonomischen Verfall, der auch von der Farbdramaturgie aufgegriffen wird, die den Film vor allem in herbstlich gedeckte Töne hüllt. Obwohl Andy Warhol’s Dracula mit einer gehörigen Portion Sex und Gewalt aufwartet, bleibt er im Kern eine Sozialsatire: Die Familie als moralische Basis – und mit ihr die komplette Gesellschaft – wird demaskiert als korrumpiert durch Selbstsucht und Gier.

Blood for Dracula

Fazit

Andy Warhol’s Dracula setzt auf eine Mischung aus 70er-Jahre-Exploitation-Film und europäischem Avantgarde-Kino und verwebt wilde Splatterorgien und softpornographische Höhepunkte mit erbitterter Gesellschaftskritik. In der Rolle des tragischen Vampirs gelingt Hauptdarsteller Udo Kier außerdem eine der besten Performances seiner Karriere: intensiv, fesselnd und unfassbar körperlich. Ein besonderes filmisches Kleinod, das für frisches Blut im Vampir-Genre sorgt.

 

Bewertung

Grauen Rating: 2 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 2 von 5
Unterhaltung  Rating: 4 von 5
Anspruch  Rating: 3 von 5
Gesamtwertung Rating: 4 von 5

Bildquelle: Andy Warhol’s Dracula © marketing-film

Horrorfilme… sind die Suche nach Erfahrungen, die man im echten Leben nicht machen möchte. Sie bilden individuelle wie kollektive Ängste ab, zwingen uns zur Auseinandersetzung mit Verdrängtem und kulturell Unerwünschtem – und werden dennoch zur Quelle eines unheimlichen Vergnügens.

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