Kritik

The Call of Cthulhu (2005) – Review

Dem aufgedrehten Tentakelhorror, der zahlreiche Adaptionen der Werke H.P. Lovecrafts kennzeichnet, setzt Andrew Leman eine schwarz-weiße Stummfilmproduktion gegenüber, die ganz und gar dem Geiste des geheimnisumwitterten Autors entsprechen soll. Ob digitale Alterungsverfahren, Stop-Motion und Nebelwerfer mit dem unterhaltsamen Splatter Stuart Gordons mithalten können? Wir sind dem Ruf des Cthulhu gefolgt.

Originaltitel:
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Drehbuch:
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Vorlage:

The Call of Cthulhu
USA
74 Minuten
Andrew Leman
Sean Branney
Matt Foyer, John Bolen, Ralph Lucas
Kurzgeschichte „Der Ruf des Cthulhu“ von H.P. Lovecraft

Inhalt

Ein namenloser Sanatoriums-Insasse (Matt Foyer) vertraut seinem Arzt den Grund seiner Nervenkrankheit an – verbunden mit der Bitte, alle schriftlichen Zeugnisse seiner früheren Aktivitäten zu verbrennen. Zu scheußlich für die Menschen sei das, was er in den Nachforschungen rund um den Nachlass seines verstorbenen Onkels (Ralph Lucas), eines angesehenen Universitätsprofessors, gefunden und dem er fortan wie besessen nachgeforscht habe. Aus dessen Dokumenten – Aufzeichnungen über Alpträume eines jungen Künstlers, ein Polizeibericht über furchteinflößende kultische Aktivitäten und Beschreibungen tentakelbewehrter Artefakte – ergibt sich nach und nach ein klaustrophobisches Puzzlebild. Ein schlummerndes, uraltes Übel, das die sensiblen Menschen in ihren Träumen heimsucht und von den Rückständigen als Gott verehrt wird, scheint unter der Oberfläche des Meeres auf seinen erneuten Aufstieg – wenn die Sterne richtig stehen – zu lauern. Die Schilderung einer monströsen Begegnung im Pazifik, die ein verstorbener Seefahrer in seinem Tagebuch abfasste, bringt den erbarmungswürdigen Protagonisten völlig um den Verstand…

Kritik

The Call of Cthulhu ist die zweite Filmproduktion der H.P. Lovecraft Historical Society, die seit 1984 Literatur, Hörbücher und -spiele, Rollenspielmaterial und eben Filme publiziert. Für letztere verfolgen die Society und Stammregisseur Andrew Leman ein klares Programm: Anders als bei den Adaptionen etwa Stuart Gordons (Re-Animator, From Beyond – Aliens des Grauens) oder Daniel Hallers (The Dunwich Horror), welche das Setting meist zeitlich in ihre Gegenwart versetzen und sich einiges an kreativer Freiheit erlauben, soll hier alles so aussehen, als sei der Film zu Lovecrafts Lebzeiten entstanden. The Call of Cthulhu präsentiert sich folglich als schwarz-weißer Stummfilm. Abgedreht mit einem winzigen Budget von geschätzten 50.000 Dollar, setzte die Society hier erstmals ihr hauseigenes „Mythoscope“-Verfahren ein: Nachträglich eingefügte Vintage-Effekte wie Flickern und Unschärfen sollen den Eindruck erzeugen, es handele sich um eine verschollene, erst kürzlich wiederentdeckte Produktion aus den 20ern.

The Call of CthulhuIn seinen besten Momenten, vor allem den labyrinthisch-wirren Traum- und Inselsequenzen, welche mit geschicktem Einsatz von Modellen, Stop-Motion und Überblendungen zu einem wahren Augenschmaus werden, erinnert er an Klassiker des deutschen Expressionismus. Vielleicht nicht zufällig, da Lovecraft einige davon nachweislich kannte, Das Cabinet des Dr. Caligari etwa den amerikanischen Kinoproduktionen seiner Zeit klar vorzog. Möglicherweise beeinflussten dessen surrealistischen Filmbauten ihn sogar in seinen architektonischen Schilderungen. Ganz über seine digitale Natur und sein geringes Budget hinwegtäuschen kann The Call of Cthulhu aber dennoch nicht: Zu künstlich wirken manche Elemente, zu unpassend im Falle mancher Nebendarsteller das Make-Up und wenn auch mit Unschärfen und Störungen verfremdet, erscheint der Film nicht grobkörnig genug. Muss er aber auch gar nicht. Nimmt man ihn als Illustration der bei Lovecraft zentral stehenden Fragilität von Zeit und menschlicher Geschichte ernst, wird diese vermeintliche Schwäche zum Stilmittel.

The Call of CthulhuDer Ruf des Cthulhu (1928) gilt als die erste Geschichte Lovecrafts, in welcher der Sonderling aus Providence das Programm entfaltet, für das er bis heute bekannt ist: das kosmische Grauen. Die Menschen sind bei ihm in der Regel nur Spielball außerirdischer, monströser Kräfte, die sich für dieses unbedeutende Geschlecht maximal von einem kulinarischen Standpunkt aus interessieren. Seine Protagonisten sind oft Forschende, die Puzzleteil für Puzzleteil zu einem großen Ganzen zusammensetzen, das ihnen schlussendlich die Sinne raubt. Und eben dies wird in Lemans Adaption meisterhaft verarbeitet. Die Requisiten sind für eine derart kleine Produktion traumhaft, die Hauptdarsteller überzeugend – ihr Overacting entspricht den Stilmitteln des Stummfilmes.

The Call of CthulhuDie Kulissenhaftigkeit des Films, durch inflationären Gebrauch von Nebelwerfern komplettiert, unterstützt nur die abstrakte Ungreifbarkeit dessen, was sich da tut. Der namenlose Protagonist verstrickt sich, wie sein Onkel vor ihm, in widersprüchlichen Hinweisen ob einer sich andeutenden, weltumspannenden Verschwörung, deren Ausmaß beide schockiert: Was hat es auf sich mit den grausamen Figuren, die in ähnlicher Form in Kultstätten der Eskimo, den Sümpfen Louisianas und den Ateliers exzentrischer Künstler gefunden wurden? Dies und schließlich das monströse Finale, in antiquierter aber keinesfalls unatmosphärischer Stop-Motion-Technik präsentiert, zu orchestrieren, gelingt Leman meisterhaft. Vor allem der versierte Einsatz von Licht und Schatten ermöglicht hier, in der bewussten Rahmung eines Vintage-Films, das Spiel mit surrealistischen Effekten, das durchaus auch hätte schiefgehen können.

The Call of CthulhuFazit

Mit einer Liebe zum Detail, welche das geringe Budget mehr als wett macht, liefern Leman und die H.P. Lovecraft Historical Society hier die wohl werkgetreueste Lovecraft-Verfilmung überhaupt ab. Mit großartigem Gespür für die schwelende Atmosphäre, in der sich die Elemente der Literaturvorlage multiperspektivisch zu einem apokalyptischen Grauen zusammensetzen, wird hier den Tentakel- und Gewaltexzessen früherer Adaptionen begegnet. Der Mut zu Stop-Motion, kollagenartigen Szenenanordnungen und antiquiertem Schauspiel bildet den Einbruch in die Rationalität der Moderne, den der namensgebende Cthulhu darstellt, ausgezeichnet ab. Man könnte meinen, Lemans Film bilde die sich auftuenden Risse im linearen Verlauf der Zeit, die Lovecraft thematisiert, nicht nur ab – sondern sei selbst einer.

Bewertung

Grauen Rating: 4 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  Rating: 3 von 5
Anspruch  Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 5 von 5

Bildquelle: Filmtitel © The H.P. Lovecraft Historical Society

Horrorfilme… sind die audiovisuelle Adaption des gesellschaftlich Abgestoßenen, Verdrängten und/oder Unerwünschten, das in der einen oder anderen Gestalt immer wieder einen Weg zurückfindet.

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