Frankenstein
Kritik

Frankenstein (1931) – Review

Mary Shelleys „Frankenstein“ gehört zu den besten Werken der Schauerliteratur und wurde unzählige Male adaptiert. Eine der berühmtesten Verfilmungen ist jene von James Whale aus dem Jahre 1931. Eine Liebeserklärung.

Originaltitel:
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Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:
Vorlage:

Frankenstein
USA
70 Minuten
James Whale
Garrett Fort, Francis Edward Faragoh
Colin Clive, Mae Clarke, Boris Karloff u.a.
Roman „Frankenstein“ von Mary Shelley

Hintergründe & Inhalt

1816 reisten die damals 18-jährige Mary Wollstonecraft, ihr späterer Ehemann Percy Bysshe Shelley und ihre jüngere Stiefschwester Claire Clairmont zum Genfer See, um dort den Sommer in einem von Lord Byron gemieteten Anwesen zu verbringen. Ebenfalls anwesend war der junge Arzt John William Polidori, Lord Byrons Biograf. Aufgrund von anhaltend schlechtem Wetter beschloss die Gesellschaft, sich mit Gruselgeschichten bei Laune zu halten und als sie sogar diesen überdrüssig wurde, selbst welche zu schreiben. Dies war der Auftakt zu einem Schreibwettbewerb, dem wir zwei der wichtigsten Exemplare der Schauerliteratur zu verdanken haben: Mary Shelleys „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ und John William Polidoris „The Vampyre“.
Nach der Veröffentlichung von „Frankenstein“ im Jahre 1818 begann eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. Dramatiker erkannten schon kurz nach Veröffentlichung das Bühnenpotential des Stoffes und so wurde dieser schnell mehrfach adaptiert. Zwischen 1910 und 1920 erschienen die ersten Verfilmungen und mit der vierten Adaption für die große Leinwand im Jahre 1931 wurde eine der größten Ikonen des Horrorgenres endgültig ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt.

Frankenstein

Die Theateradaptionen nahmen sich schon früh einige Freiheiten, um Shelleys Stoff besser umsetzen zu können. So verwundert es nicht, dass sich auch die auf einem Theaterstück von 1927 beruhende Adaption von 1931 vom Ursprungsstoff entfernt:
Der junge Wissenschaftler Henry Frankenstein (Colin Clive, Mad Love) sammelt mit seinem buckligen Assistenten Fritz (Dwight Frye, Renfield in Dracula, 1931) menschliche Körperteile zusammen, teilweise von frisch vergrabenen Leichen, aber auch von kürzlich erhängten Kriminellen, um daraus neues Leben zu erschaffen. Die zusammengesetzten leblosen Leichenteile sollen mittels Elektrizität wiederbelebt werden, wofür Frankenstein in einem alten Wachturm sein Labor mit hochkomplexen Apparaturen eingerichtet hat. In Anwesenheit seiner Verlobten Elizabeth (Mae Clarke), seines Freundes Victor (John Boles) und seines ehemaligen Professors Dr. Waldman (Edward Van Sloan, Van Helsing in Dracula, 1931) gelingt es Frankenstein mit Hilfe der Energie eines Blitzes, die zusammengeflickte Kreatur (Boris Karloff, Die Mumie, 1932) zum Leben zu erwecken. Bevor Frankenstein sein monströses, aber dennoch friedliches Geschöpf genauer begutachten kann, versetzt Fritz es mit einer Fackel in Panik. Frankenstein und Dr. Waldman missdeuten die Angst als einen Angriff, ringen die Kreatur nieder und sperren sie in den Kerker – doch sie kann entkommen…

Kritik

Im Gegensatz zu den Theaterstücken und den Verfilmungen breitet Mary Shelley ihre Geschichte weit aus. Nach der Erschaffung, die im Roman gerade einmal einen vagen Absatz einnimmt, flüchtet Frankenstein aus seinem Zimmer und als er wiederkommt, ist seine Schöpfung geflohen. Nachdem dies zuerst aus der Sicht von Frankenstein erzählt wurde, wechselt der Roman die Perspektive zu der Kreatur und wir dürfen sie bei dem Versuch begleiten, Liebe und Geborgenheit unter den Menschen zu finden. Das Geschöpf ist sich seines unansehnlichen Äußeren bewusst und will seine Mitmenschen mit seiner guten Gesinnung und redlichen Taten von sich überzeugen, erntet aber immer nur Feindseligkeit und Abscheu, woran es letztendlich zerbricht. Zuletzt auch noch von seinem Schöpfer im Stich gelassen, schwört es diesem bittere Rache. Ein absolut herzzerreißender, phantastisch geschriebener Roman, den ich euch allen nur ans Herz legen kann.

Wie schon gesagt, entfernt sich die Verfilmung sehr weit von ihrem Ursprungsstoff, bleibt ihm aber im Kern doch treu. Denn obwohl die Kreatur hier keine Monologe über ganze Kapitel führen kann, um ihrer Verlassenheit und ihrem Elend Ausdruck zu verleihen, schafft es das stumme Geschöpf, genauso viel Empathie für sein Schicksal zu erzeugen. Gerade die ersten Szenen nach seiner Erschaffung sind von Regisseur James Whale großartig inszeniert. Nicht nur wird hier die Kreatur missverständlich in den Kerker gesperrt, sondern dort auch unablässig von Fritz mit Peitsche und Fackel malträtiert, was schlussendlich zum gewaltsamen und mörderischen Ausbruch führt. Das unschuldige Wesen sinnt dabei nach nichts Verwerflichem, sondern will einzig seinem Elend entkommen. Besonders hier werden die humanen Züge der Kreatur auf eine natürliche Art und Weise verdeutlicht, wenn es, wie auch wir Menschen, von der unnachgiebigen Sehnsucht nach Freiheit gelenkt wird. Während des gesamten Filmes versucht sich die Kreatur in einer Welt zurechtzufinden, die ihr fremd ist und ihr ohne ersichtlichen Grund feindselig gegenübersteht. Am Höhepunkt der Handlung trifft das Geschöpf zum ersten Mal auf einen Menschen, der ihm nicht sofort ablehnend begegnet. Es ist ein kleines siebenjähriges Mädchen, das gerne mit ihm spielen würde. Dieser unbefleckte Moment zwischen den zwei unschuldigen Wesen gehört für mich zu den schönsten Augenblicken der Kinogeschichte – wenn auch mit einem äußerst tragischen Ende.

Frankenstein

Die Intensität dieses Moments hängt stark an den zwei involvierten Schauspielern. Einerseits Boris Karloff und andererseits Marilyn Harris, die das kleine Mädchen verkörpert. Beide verstanden sich am Set auf Anhieb sehr gut. Als sich das Team aufmachte, um besagte Szene zu drehen, stieg Karloff in voller Montur und Makeup aus einer Limousine, woraufhin Harris zu Karloff lief, seine Hand nahm und fragte, ob sie mit ihm zusammen fahren dürfe. Karloff meinte daraufhin nur: „Würdest du, Liebes?“. Diese Herzlichkeit überträgt sich direkt auf die Leinwand und macht die Szene so authentisch und herzerweichend.
Es ist in diesem Zusammenhang auch spannend, dass im Publikum insbesondere Kinder am positivsten auf das vermeintliche Monster reagierten. Karloff sagte hierzu einmal, dass Kinder die Unschuld der Kreatur instinktiv verstehen würden.

Dies liegt jedoch nicht nur an Karloffs atemberaubender Performance, sondern auch am genialen Design der Kreatur. Hier haben Whale, Karloff und Maskenbildner-Legende Jack Pierce (Die Mumie, Der Wolfsmensch) wirklich Großes geschaffen. Karloffs Kopf wurde mittels Watte und Kollodium nach oben vergrößert, es wurden Narben sowie Schatten ergänzt und Karloff nahm rechts seinen Zahnersatz heraus, damit sein Gesicht eingefallen und damit noch hagerer aussah. Um ihm einen etwas dösigen Gesichtsausdruck zu verpassen, wurden seine Augenlider zugekleistert, damit er sie nie ganz aufbekam – eine Idee, die von Karloff selbst stammt. Zusätzlich wurden seine Beine versteift, er bekam extra schwere Stiefel und zu kurze Ärmel, damit seine Arme länger wirkten. Dem ungeachtet blieb Karloff jedoch immer noch genügend Raum, um zu schauspielern und der Figur seinen Stempel aufdrücken.

Frankenstein

Die ursprüngliche Idee für das Design der Kreatur entstammt dem Golem von Paul Wegener aus dem Jahre 1920. Dass ausgerechnet auf diesen Film zurückgegriffen wurde, verwundert wenig, war doch insbesondere Universals Produktionschef Carl Laemmle jr. ein großer Bewunderer des deutschen expressionistischen Films. So waren einige Szenen mit der Kreatur von Das Cabinet des Dr. Caligari inspiriert und die Erschaffung derselben von Metropolis. Das wunderbare Laboratorium inklusive der elektronischen Spezialeffekte, welches noch Jahrzehnte später Filmschaffende inspirieren sollte, wurde von Kenneth Strickfaden entworfen, der dafür sogar einen von Tesla selbst gebauten Tesla-Transformator verwendet haben soll. Diese Erschaffungsszene war für Whale der Höhepunkt des Films, da an dieser die Glaubwürdigkeit der gesamten Geschichte hing. Die Szene war auch absolut stilbildend für kommende Filme, insbesondere für solche rund um verrückte Wissenschaftler. Colin Clives leicht wahnsinniger Jubel „It’s alive! It’s alive!“ gehört definitiv zu den ikonischsten Momenten der Filmgeschichte und erzeugt bei mir nach wie vor Gänsehaut.

Inszenatorisch war Whale allgemein seiner Zeit voraus und konnte vor allem mit einer sehr dynamischen Kameraarbeit überzeugen. Besonders die langen Plansequenzen von Kameramann Arthur Edeson (Casablanca, Der Unsichtbare) lassen den fast 90 Jahre alten Film noch immer erstaunlich frisch wirken. Insbesondere die ausgedehnte Kamerafahrt, die dem Vater folgt, der die tote Maria durch das Dorf trägt, ist in seiner Länge unglaublich erschütternd und virtuos ausgeführt.

Frankenstein

Fazit

Der Film hatte nach seiner Veröffentlichung mit viel Kritik, vor allem von christlicher Seite, zu kämpfen, was ihm auch einiges an Zensur einbrachte. Dass Frankenstein sich zum Schöpfer, zu Gott, aufspielt, stieß auf wenig Gegenliebe. Neben der göttlichen Schöpfung erstrecken sich die Motive im Film über den väterlichen Schöpfer, der seine Schöpfung im Stich lässt, bis zur menschlichen Hybris, deren Schöpfung ihr entgleitet.
Doch was für mich immer im Mittelpunkt stehen wird, ist der schuldlos Ausgestoßene und von der Gesellschaft Geächtete. Ich schätze Horrorfilme grundsätzlich dafür, dass sie sich den abgründigen und unerwünschten Themen unserer Gesellschaft zuwenden, aber insbesondere für ihr Herz für die Außenseiter dieser Welt. Es sind auch jene Geschichten im Genre, die mich persönlich immer besonders begeistern und „Frankenstein“ ist eine der besten dieser Geschichten – sowohl in Romanform, als auch in seiner Verfilmung von 1931.

Aber egal, ob man Frankenstein als wundervolle Geschichte über Ausgestoßene, als Abhandlung über Schöpfung, einfach nur als Schauergeschichte oder als all das zusammen versteht, es bleibt ein virtuos inszenierter und herausragend gespielter Meilenstein der Horrorfilmgeschichte, welcher unzählige Filme und Serien inspirierte, Boris Karloff zum Star machte und Frankenstein und seine Kreatur als festes Repertoire des Genres etablierte.

 

Bewertung

Grauen Rating: 2 von 5
Spannung Rating: 3 von 5
Härte  Rating: 1 von 5
Unterhaltung  Rating: 4 von 5
Anspruch  Rating: 3 von 5
Gesamtwertung Rating: 5 von 5

Bildquelle: Frankenstein © Universal Pictures

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?