Dark Waters
Kritik

Dark Waters (1993) – Review

Mariano Bainos Dark Waters ist einer der letzten großen italienischen Horrorfilme und konfrontiert uns mit kosmischem Horror nach Lovecrafts Vorbild.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Dark Waters
Russland, Großbritannien
94 Minuten
Mariano Baino
Mariano Baino, Andy Bark
Louise Salter, Venera Simmons, Mariya Kapnist u.a.

Inhalt

Nach dem Tod ihres Vaters findet die Engländerin Elizabeth heraus, dass er jahrelang Geld an einen geheimnisvollen Nonnenorden gespendet hat. Neugierig reist die junge Frau zu den Nonnen auf eine abgeschiedene Insel, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und die Tradition möglicherweise fortzuführen. Die Nonnen scheinen sich der Aufgabe verschrieben zu haben, eine uralte böse Kraft in den Katakomben unter dem Kloster festzuhalten, doch sie sind nicht besonders redselig. Die monströse Präsenz auf der Insel hat die Schwestern zu abscheulichen, halbwahnsinnigen Gestalten werden lassen, angeführt von einer blinden Äbtissin.

Da das Schiff zum Festland nur wöchentlich fährt, sitzt Elizabeth vorerst auf der Insel fest und beschließt, eigene Nachforschungen anzustellen. Unterstützung erhält sie dabei von der jungen Nonne Sarah, mit der gemeinsam sie die Katakomben, Bibliotheken und versteckten Räume des Klosters durchsucht und dabei Hinweise auf einen uralten Dämon sowie ihre eigene Kindheit auf der Insel findet. Doch die Nonnen bleiben keineswegs tatenlos und schon bald muss Elizabeth um ihr Leben fürchten …

Kritik

Die monströsen Schwestern in Dark Waters verkörpern alles, was man sich von Nonnen in einem Horrorfilm nur wünschen kann. Sie singen unheilige Choräle, versammeln sich nachts zu orgiastischen Selbstgeißelungen und blutigen Ritualen, wandern mit brennenden Kreuzen umher und schrecken auch vor dem Einsatz von Gewalt – für eine höhere Sache, versteht sich – nicht zurück. Wie Banshees lauern sie in den finsteren Ecken des Klosters, fremdartige Wesen, die über ihrer Aufgabe als Hüterinnen des Monsters selbst wahnsinnig geworden sind und nur dem Aussehen nach noch halbwegs menschlich erscheinen.

Dark Waters

Doch es sind nicht nur die Nonnen. Ab dem Moment der Ankunft auf dem Eiland wird man das Gefühl nicht los, dass mit dieser Insel etwas ganz und gar nicht stimmt. Das liegt nicht nur am baufälligen Kloster, dessen tropfende Katakomben sich tief ins Erdreich hinein winden, und den wenigen kargen Treibholzhütten, deren Bewohner seltsam fremdartig wirken. Die regnerische und stürmische Nacht ist in Dark Waters ein Dauerzustand, während die Helligkeit des Tages stets binnen eines Augenblicks zu verlöschen droht. Ein dunkles Schicksal scheint Elizabeth bevorzustehen und wie ein Damoklesschwert schwebt die Ahnung drohenden Verhängnisses über der gesamten Handlung.

Dieses Gefühl nahenden Unheils erzeugt Baino vor allem durch den kunstvollen Einsatz von Licht und Schatten. Elektrischen Strom gibt es auf der abgelegenen Insel nicht, die einzige Lichtquelle bilden hunderte von gespenstisch flackernden Kerzen. Besonders eindrucksvoll ist dieser Effekt in den Katakomben unterhalb des Klosters, in deren gewundenen Gängen der Kontrast zwischen dem spärlichen Kerzenschein und den langen, tiefschwarzen Schatten umso bedrohlicher wirkt. Langsam kriecht die Dunkelheit über die felsigen Wände der unterirdischen Grotten und nährt beständig die Angst vor dem, was dort im Verborgenen lauert.

Dark Waters

Die immense Bedeutung von Licht und Schatten für die Grundstimmung des Films und seine starke visuelle Narration, die den Dialog über einer ausdrucksstarken Bildsprache vernachlässigt, weckt nicht zufällig Assoziationen an den deutschen Expressionismus und Stummfilme wie Der Golem. Die Erfindung des Tonfilms ist für Baino auch eine Verlusterfahrung, denn „mit der Erfindung des Tons hat das Kino eine großartige Möglichkeit verloren: die, eine eigene Sprache zu entwickeln.“ Viele moderne Filmemacher arbeiteten seitdem gemäß dem Grundsatz „Du musst nicht hinschauen, ich erzähle dir einfach, was passiert.“ So leicht macht Dark Waters es seinen Zuschauern nicht. In der Tradition von Filmemachern wie Andrei Tarkowski, Ingmar Bergman oder Landsmann Dario Argento entfernt Baino sich von der traditionellen Dramaturgie und erzeugt die Bedeutung stattdessen über stimmungsvolle und symbolisch aufgeladene Bildwelten.

Dark Waters ist aber auch eine Verneigung vor H.P. Lovecraft, dessen Werk Baino als Jugendlicher verschlang. Lovecraft begründete den Cosmic Horror: Der Mensch ist keineswegs die Krone der Schöpfung, in den Abgründen von Raum und Zeit lauern namenlose Schrecken, denen wir vollkommen schutzlos aufgeliefert sind. Die uralten Wesen sind das ultimative Fremde und das Einzige, was dem Menschen angesichts der Konfrontation mit ihnen bleibt, ist die Flucht in den Wahnsinn.

Auch die Bewohner der Insel wirken, als hätten sie die Begegnung mit dem Fremden nicht gut überstanden. Ihr Handeln folgt einer eigenartigen Logik, die sich uns ebenso wenig erschließt wie der Sinn ihrer Rituale. Das hängt auch mit der, von Lovecraft abgeschauten, Verhüllung des Monsters zusammen: Erst in der letzten Szene gibt ein Riss im Mauerwerk einen Blick auf seinen grotesken Körper frei. Eigentlich eine Notlösung, nachdem sich beim Dreh der Schlussszene herausgestellt hatte, dass die eigens gebaute Kreatur unbeweglich war und das Ende komplett neu konzipiert werden musste. Dem Zuschauer sein Monster vorzuenthalten, ist mutig – aber effektiv. Bis zuletzt bewahrt die dämonische Kreatur sich dadurch ihren Schrecken und ihre Fremdartigkeit.

Dark Waters

Dark Waters spielt mit dem Verstand seiner Zuschauer. Selbst die Kategorien von Raum und Zeit sind plötzlich keine verlässlichen Orientierungspunkte mehr. Wo genau die namenlose Insel liegt, lässt sich nicht sagen – nur, dass eine Rückkehr unmöglich erscheint. Wie Charon, der Fährmann über den Totenfluss aus der antiken Mythologie, wirkt der dubiose Fremde, der Elizabeth bei tosendem Sturm und entgegen aller Warnungen zur Insel übersetzt. Ein Besuch ohne Wiederkehr? Die Alpträume, von denen Elizabeth gequält wird, lassen die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen. Der Zeitfluss wird aufgebrochen und die Chronologie gestört. Sind es Visionen oder Erinnerungen an ihre Kindheit auf der Insel? Einen sicheren Halt bietet Dark Waters dem zwischen Traum und Wirklichkeit schwankenden Zuschauer nicht – bleibt nur, sich auf die kosmischen Monstrositäten einzulassen und den Schrecken zu genießen.

Fazit

Fans von geradlinigem Horror werden mit Dark Waters nicht viel anfangen können. Bainos Meisterwerk lebt von seiner intensiv-unheilvollen Atmosphäre, der ausdrucksstarken Bildsprache und einer Allgegenwart des Fremden. Ein surrealer Film mit hohem Schauwert, der den Zuschauer mühelos in seinen Bann zieht und in eine Welt der Traumlogik und des poetischen Schreckens entführt.

Bewertung

Grauen Rating5_5
Spannung Rating: 4 von 5
Härte  Rating: 2 von 5
Unterhaltung  rating3_5
Anspruch  Rating: 4 von 5
Gesamtwertung Rating: 5 von 5

Bildquelle: Dark Waters © Wicked-Vision Media

Horrorfilme… sind die Suche nach Erfahrungen, die man im echten Leben nicht machen möchte. Sie bilden individuelle wie kollektive Ängste ab, zwingen uns zur Auseinandersetzung mit Verdrängtem und kulturell Unerwünschtem – und werden dennoch zur Quelle eines unheimlichen Vergnügens.

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