Mary Shelley
Kritik

Mary Shelley (2017) – Review

Was kann man Anfang des 19. Jahrhunderts mit jungen 18 Jahren schon gelernt und erlebt haben, das ein solches literarisches Kunstwerk wie Frankenstein dabei heraus kommt? Niemand wollte glauben, dass dies aus der Feder der jungen Mary Wollstonecraft Shelley stammen kann.
Haifaa Al Mansour nimmt uns mit auf eine Spurensuche.

Originaltitel:
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Drehbuch:
Cast:
VÖ:

Mary Shelley
Großbritannien, Luxemburg, USA, Irland
120 Minuten
Haifaa Al-Mansour
Emma Jensen, Haifaa Al-Mansour
Elle Fanning, Bel Powley, Owen Richards, Tom Sturridge u.a.
Seit 09. Mai 2019 im Handel erhältlich

Für 120 Minuten tauchen wir ein in das Leben von Mary Shelley bzw. das, was Haifaa Al Mansour uns davon zeigen möchte. Denn die Person hinter Frankenstein und seinem Monster ist mindestens genauso faszinierend wie das Werk selbst.

Hintergründe

Mary Shelley
Mary Shelley, 1840 gemalt von Richard Rothwell

Als Tochter der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft und des anarchistischen Theoretikers William Godwin (der nichts mit Godwins Law zu tun hat), wurde der jungen Mary Shelley (geb. Mary Wollstonecraft Godwin) das Potential Großes zu erreichen bereits mit in die Wiege gelegt. Unglücklicherweise starb ihre Mutter nur wenige Tage nach der Geburt und Mary wuchs nach der erneuten Heirat ihres Vaters mit ihrer älteren Schwester, Stiefmutter und Stiefgeschwistern auf. Von Seiten ihres Vaters durfte sie viele Freiheiten genießen, doch ihre Stiefmutter war strenger Natur und so kam es zwischen ihr und Mary immer wieder zu Auseinandersetzungen.
Um diese zu dämpfen, sandte William Godwin Mary zu einem guten Freund aufs Land. Dort traf die 16-Jährige auf den bekannten Poeten Percy B. Shelley. Tief voneinander fasziniert begannen sie sich immer öfters zu treffen – sehr zum Missfallen ihres Umfelds. Denn Percy war bereits verheiratet und hatte Frau samt dem gemeinsamen Kind verlassen. Als sich Marys Schwierigkeiten Zuhause immer weiter zuspitzten, zögerten sie und ihre jüngere Stiefschwester Claire nicht,  Percy auf einer Reise durch Europa zu begleiten. Unbehelligt konnten Mary und Percy als Paar auftreten und als sie nach England zurückkehrten, war Mary guter Hoffnung. Doch statt einem Happy End, wurde dies für beide zu einem ständigen Kampf mit gesellschaftlichen Begrenzungen. Percys Vater war so erbost über die Entwicklung dieser Verbindung, dass er Percy die finanzielle Zuwendung strich. Die restliche Gesellschaft schloss sie aus, bis auf ein paar von Percys Bekannten, die annahmen, dass Mary bereit wäre, sich jedem mit Rang und Geld zuzuwenden.

Frankenstein
Frankenstein (Ausgabe 1831)

Den Sommer 1816 verbrachten Mary, Percy und Claire gemeinsam mit dem Arzt John W. Polidori auf dem Anwesen des berühmt-berüchtigten Lord Byron am Genfer See. Dieser hatte vorab in London eine Affäre mit Claire begonnen und sie trug sein Kind unter dem Herzen. Doch Byron blieb von der Nachricht unbeeindruckt – und weiter ungebunden. Das dauerhaft schlechte Wetter verunmöglichte Außenaktivitäten und so kam es, dass sich die Anwesenden die Zeit mit Gesprächen, Lesen und Schauergeschichten vertrieben. Es entstand die Idee zu einem kleinen Schreibwettbewerb, der zunächst kleinere Werke hervor brachte. In Marys Kopf aber rumorte es, ein Samen war gesät.
Als sich in dieser Zeit Percys Frau das Leben nahm, war der offizielle Weg für Mary und Percy frei zu heiraten. Das Eheleben der beiden war geprägt von vielen Schatten: Die Geheimhaltung der Schwangerschaft Claires zwang sie, ein zurückgezogenes Leben zu führen, das unorthodoxe Leben bis zu ihrer Heirat hatte sie von dem gesellschaftlichen Alltag ausgegrenzt, die ältere Schwester Marys beging Suizid und die finanziellen Mittel blieben knapp. Hinzu kam der Verlust mehrerer ihrer Kinder, die Mary sehr zusetzten und das Paar voneinander entfremdete. Nur ihr letztgeborener Sohn erreichte das Erwachsenenalter.
Anfang 1818 wurde der Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ veröffentlicht, zunächst noch ohne Angabe eines Verfassers. Es wurde angenommen, dass Percy Shelley der Autor des Werkes war. Erst durch den Einfluss ihres Vaters konnte sich ein Verlag finden, der das Werk mit dem Namen der Autorin veröffentlichte. Endlich bekam das Werk die gebührende Aufmerksamkeit und wurde umfassend diskutiert. Das gemeinsame Glück von Mary und Percy Shelley trotzte allen Schwierigkeiten und sie blieben bis zu Percys frühem Tod 1822 innig verbunden. Nach seinem Tod schrieb Mary Shelley weiter, doch keins ihrer Werke konnte an ihren früheren Erfolg anknüpfen konnte. Bis in die 1970er Jahre war sie hauptsächlich als Nachlassverwalterin der Werke von Percy Shelley und als Autorin von Frankenstein bekannt. Erst dann, mehr als 100 Jahre nach ihrem Tod begann sich die Literaturwissenschaft mit ihrem umfangreichen Gesamtwerk zu befassen und stellte fest, dass Shelley zeitlebens ein freier Geist war.

Inhalt

In Haifaa Al Mansours Mary Shelley begleiten wir die 16-jährige Mary über etwa zwei Jahre auf dem Weg bis zur Veröffentlichung ihres bekanntesten Werkes „Frankenstein oder: der moderne Prometheus“. Beginnend mit dem ersten schicksalshaften Zusammentreffen mit dem 21-jährigen, verheirateten Percy Shelley verfolgen wir die Entwicklung dieser für ihre Zeit sehr unkonventionellen Beziehung, teilen Freud und Leid, staunen über die Welt und erleben die Enttäuschung von der Welt durch Marys Augen. Der Film bleibt dabei sehr nah an seiner Hauptfigur dran. Nach und nach setzt sich das Puzzle aus Eindrücken, Erlebnissen und Erfahrungen zusammen, das schlussendlich nicht anders kann, als zu einem grandiosen Meisterwerk der Weltliteratur zu verschmelzen.

Kritik

Al Mansours (Das Mädchen Wadjda) Verfilmung eines Teils aus dem Leben von Mary Shelley hält sich erfreulicherweise eng an die historischen Fakten. Doch ist es keine reine Dokumentation, denn der Fokus liegt klar auf der möglichen Ergründung, wie ein so junger Mensch ein derart bahnbrechendes Werk der Literaturgeschichte verfassen kann. Das Hauptaugenmerk liegt sehr nah am Individuum Mary Wollstonecraft Godwin und mir persönlich auch etwas zu nah. Denn obwohl sie als Impulse und Erfahrungen maßgeblich sein sollen, wirkt die Auseinandersetzung mit den großen Themen dieser Zeit (Aufwachsen in einer Welt kurz nach der französischen Revolution, die erstarkende Frauenbewegung) oder das Brechen gesellschaftlicher Normen (freie Liebe, formelle Bindung, Scheidung oder Wiedervermählung) relativ schal. Wir sehen innere wie äußere Kämpfe lediglich angedeutet und so verpufft viel der angestrebten Wirkung. Im Großen und Ganzen werden allzu große Skandale lediglich angedeutet. Wenn doch einmal Widerstände gegen die herrschenden Regeln explizit dargestellt werden, dann lediglich, um die Story voran zu bringen. Doch nicht immer gelingt dies in konsistenter Form mit der Charakterzeichnung. Die Beziehung von Percy und Mary zeigt sich traditionell und vorwiegend mit ideologischen Auseinandersetzungen belastet, ausgelöst durch Marys Suche nach Individualität und Freiheit von Geschlechterdynamiken. Die Themen der unehelichen Schwangerschaft ihrer Stiefschwester Claire oder dass Percy seine Frau und Kind im Stich lässt, um mit ihr die Welt zu bereisen, sind ferne Nebenschauplätze, kleine Hürden am Rande.

Mary Shelley
Claire, Mary Shelley, Percy Shelley und Lord Byron

Trotz der offensichtlichen Scheu sich intensiv mit Uneindeutigkeiten auseinanderzusetzen, ist der Film ganz und gar nicht subtil in dem, was er denn zeigen will. Lieber werden Themen einmal zu oft als zu wenig angesprochen. Die Querverweise und Metaphern zwischen dem Erlebten und dessen Verarbeitung im Roman werden immer und immer wieder plattgetreten. Denken muss dabei niemand. Dabei ist es insbesondere frustrierend, dass der Film sich nicht entscheiden möchte, ob Mary Shelley nun ein Opfer oder ein tatkräftiger Mensch sein soll. Der Versuch, beides aus ihr zu machen, scheitert kläglich und kann auch von der großartigen Schauspielkunst Elle Fannings (The Neon Demon) nicht gerettet werden. Zurück bleibt am Ende eine selbstbewusste Autorin, der ich beim Wachsen zusehen durfte, ohne dass mich ihr Entwicklungsprozess besonders berührt hätte.

Es mag daran liegen – und das hoffe ich inständig –, dass ich den Film mit der deutschen Synchronisation gesehen habe, doch die Widersprüche zwischen Text und Bild, Gesellschaft und Darstellung, ziehen sich in der Sprache durch. Die altertümliche (deutsche) Sprache wirkt stellenweise etwas überkorrekt und passt nicht immer zur dargestellten Emotion. Doch möglicherweise und hoffentlich ist das im englischen Originalton anders. Die Liebe zum Detail, die sich durch den gesamten Film zieht, sei es in der Wortwahl, der Kleidung oder der Ausstattung der Räume wird meiner Meinung nach durch die Besetzung der Rollen geschmälert. Jede und jeder Einzelne macht seine/ihre Sache wunderbar. Elle Fanning zeigt ihr Können in voller Spannbreite und Tom Sturridge überzeugt als lustbetonter Dandy Lord Byron absolut. Doch ist es sehr schade, dass in den wenigen Szenen zwischen John W. Polidori (Ben Hardy) und Mary Shelley die Anziehung greifbarer und realer scheint, als im gesamten Film die zwischen Mary und Percy Shelley (Douglas Booth, Stolz und Vorurteil und Zombies).

Mary Shelley
Mary Shelley und John W. Polidori

Fazit

Ich habe mich sehr auf Mary Shelley gefreut. Und hatte schon vor dem Sehen etwas die Befürchtung, dass es zu viel werden könnte, was in die Geschichte einzubauen ist – eben weil die gesellschaftlichen Hintergründe und Umstände vielfältig und kompliziert waren. Und bis auf kurze Andeutungen erwiesen sich diese Befürchtungen als überaus berechtigt. Der Film verläuft sich im beeindruckenden Detail, im Fokus auf das Individuum Mary Shelley, teilweise so sehr, dass die Widerstände gegen die sie sich entwickeln will, nur verschwommene Schatten am Rande des Blickfelds bleiben. Die Kraft und Innovation, die Tiefe ihres Werkes, werden dargestellt, ohne wirklich zu berühren. Was äußerst schade ist.
Wer sich ein bisschen ein Bild zur Entstehungsgeschichte Frankensteins machen möchte, ohne ewig Wikipedia lesen zu müssen, der ist hier gut und ansprechend unterhalten. Mehr als ein solider Film ist es allerdings nicht.

Bewertung

Spannung Rating: 2 von 5
Atmosphäre Rating: 2 von 5
Gewalt Rating: 1 von 5
Ekel rating3_5
Story Rating: 3 von 5

Ab 09. Mai 2019 im Handel:

DVD:

Mary Shelley

Bluray:

Mary Shelley

Bildquelle: Mary Shelley © EuroVideo

Horrorfilme… sind die Spannung und das Spiel mit menschlichen Abgründen, ein Spiegel der Gesellschaft, Zeugnis namentlicher Grauslichkeiten und Erkundung grauslicher Namenslosigkeiten. Mal tief und schwer und dann gern auch mal ein bisschen Zombie-Musical oder Blutbad dazwischen. Denn Horror und Lachflash schließen sich nicht zwingend aus.

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