Ichi the Killer
Kritik

Ichi the Killer (2001) – Review

Nachdem Takashi Miike 1999 mit Audition international für Furore sorgte, konnte er zwei Jahre später mit seinem kultigen Yakuza-Splatter Ichi the Killer abermals für Aufsehen sorgen. Doch was versteckt sich hinter dem kontroversen Film, zu dessen Premiere beim Toronto International Film Festival Kotztüten verteilt wurden?

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Vorlage:
Cast:

Koroshiya 1
Japan
129 Minuten
Takashi Miike
Sakichi Sato
Manga „Ichi the Killer“ von Hideo Yamamoto
Tadanobu Asano, Nao Ohmori, Shin’ya Tsukamoto u.a.

Inhalt

In Ichi the Killer tauchen wir ein in Takashi Miikes Welt der Yakuza. Der Yakuza-Boss Anjo wurde brutal ermordet und seine rechte Hand Kakihara (Tadanobu Asano) macht sich auf die Suche nach dem Mörder. Langsam stellt sich heraus, dass ein ominöser Killer namens Ichi (Nao Omori) im kriminellen Untergrund von Tokyo sein mörderisches Unwesen treibt und auch für den Tod von Anjo verantwortlich ist. Kakihara, angetrieben vom Verlangen nach Vergeltung, aber auch von Faszination, macht sich auf die Suche nach Ichi…

Takashi Miike – Der Anarchist

Ichi the Killer stellt in seiner insbesondere für westliche Augen ungewohnten und bizarren Art unvorbereitete ZuschauerInnen auf eine harte Probe und wer sich dem vorauseilenden Ruf des Films entsprechend ein simples Splatterfest erhofft, dürfte schwer enttäuscht werden. Der Film gehört neben dem „romantischen“ Psycho-Horror Audition (1999) und dem ultra-brutalen Yakuza-Film Dead or Alive (1999) zu jener Schaffensperiode, die Takashi Miike den internationalen Durchbruch bescherte. Miike ist einer der produktivsten Filmemacher weltweit, was ihm auf imdb über 100 Credits als Regisseur beschert und rund vier Filmen pro Jahr entspricht. Miikes Œuvre deckt dabei so ziemlich jedes Genre ab und enthält zum Beispiel auch einige leichtfüßige Kinderfilme. Insbesondere im Westen ist er jedoch hauptsächlich für seine überaus brutalen, sexualisierten und oftmals grotesken Filme bekannt – aber eben auch für seine eher schwer zugänglichen Inszenierungen. Der Japaner ist in seiner Art des Filmemachens Anarchist. Er scheißt auf Konventionen des klassischen Erzählkinos; er macht Filme, wie sie für ihn stimmig sind, ohne dabei auf irgendwelche Begrenzungen oder Zuschreibungen zu achten. Um dies verwirklichen zu können, ist Miike seit jeher stark im Direct-to-Video-Geschäft bzw. im japanischen V-Cinema zuhause, welches ihm die nötigen kreativen Freiheiten für seine kontroversen Filme einräumt. Dieser anarchische Zugang und der Hang zum Bizarren ist es dann aber auch, welche ihm eine treue Fangemeinde beschert hat.

Ein Titel aus Sperma…

Jener Film, der Miike den wohl größten Kultstatus einbrachte, ist Ichi the Killer. Diesem liegt eine gleichnamige Manga-Reihe von Hideo Yamamoto zugrunde, die in Bezug auf Gewalt ordentlich auf die Kacke haut und auch sexuell experimentierfreudig zur Sache geht. So werden zum Beispiel Themen wie Nekrophilie abgedeckt und Ichi spritzt jedes Mal ab, wenn er jemanden tötet. Letzteres führt mich dann auch direkt zu Takashi Miikes Adaption. Denn der Film beginnt mit Ichi, der im Zeitraffer durch ein nächtliches, neonbeleuchtetes Tokio radelt, immer wieder unterbrochen von Szenen aus Tokios Unterwelt. Ichis Radtour endet bei einem Zuhälter, der gerade eine Prostituierte verprügelt und vergewaltigt. Das Intro endet schlussendlich damit, dass aus Ichis Sperma der Titel des Films hervortritt. Für die Adaption des Mangas war Sakichi Sato verantwortlich, der sich zwei Jahre später auch dem Drehbuch für Miikes Gozu annahm und zudem in Tarantinos Kill Bill in die Rolle des Charlie Brown schlüpfte. Dies ist nebenbei erwähnt nicht die einzige Verbindung zu Tarantinos Rache-Epos: bei beiden Filmen war Yûichi Matsui für die Spezialeffekte verantwortlich. Sato bleibt der Vorlage weitestgehend treu, verändert allerdings den Fokus unter den Figuren. Während der Manga die Psyche von Kakihara, Ichi und der dritten Hauptfigur Jijii ausgiebig beleuchtet, konzentriert sich die Verfilmung stark auf den Yakuza Kakihara, welcher auch prominent auf Postern und Covern abgelichtet ist.

Ichi the Killer

Zwei Antagonisten

Dies ist auch einer der Faktoren, die Ichi the Killer schwer zugänglich machen: Er verweigert uns einen Protagonisten, mit dem wir uns identifizieren können. Abgesehen vom ejakulierenden Intro spielt die titelgebende Figur zunächst kaum eine Rolle und alle Scheinwerfer sind auf Kakihara und seine Suche nach dem Mörder seines Bosses gerichtet. Dabei geht er nicht zimperlich mit anderen Yakuzas um und foltert auch gerne mal auf höchst sadistische Weise Personen, die etwas mit dem Mord zu tun haben könnten. Kakihara selbst ist eine äußerst schillernde Figur, im Auftreten wie auch in seinen Handlungen. Seinen extrem ausgeprägten Hang zum Sadomasochismus bekommen nicht nur seine Mitmenschen schmerzhaft zu spüren, denn er hat sich auch selbst die Mundwinkel fast bis zu den Ohren aufgeschlitzt und nur zwei Piercings halten seinen Mund in der ursprünglichen Form. Zudem schneidet er sich in einer Verhandlungszene einen Teil seiner Zunge ab, um „Reue“ für seine Untaten zu zeigen – ein unter den Yakuza verbreitetes Ritual namens Yubitsume!
In der Zwischenzeit lernen wir den schüchternen und mental retardierten Ichi kennen, der seine Zeit vorwiegend mit Videospielen verbringt; mit einer Decke weit über den Kopf gezogen und sich vor der Welt versteckend. An dieser Stelle ist es schwer zu glauben, dass Ichi auch nur einer Fliege etwas zuleide tun könnte. Hier kommt dann der ominöse Jijii ins Spiel, gespielt vom Regisseur von Tetsuo, Shin’ya Tsukamoto. Wir sehen wie er Ichi an traumatische Erlebnisse aus seiner Schulzeit erinnert. Ichi wurde offenbar stark gemobbt und das Mädchen, das sich für ihn einsetzte, wurde schlussendlich von seinen Peinigern vergewaltigt, während Ichi zusehen musste. Mit diesen Erzählungen triggert Jijii den Jungen und macht ihn zum Berserker, um ihn gezielt auf bestimmte Yakuzas ansetzen zu können. Der titelgebende Protagonist ist jedoch alles andere als eine Identifikationsfigur. Er besitzt keine eigene Motivation, alles was er tut ist nur eine Reaktion auf Einflüsse von außen. Wenn er nicht von Jijii manipuliert wird, ist er fast vollkommen handlungsunfähig. Doch nicht nur, dass Ichi somit als (Nicht-)Akteur jegliches Ziel fehlt, Miike lässt auch keinen Zweifel daran, dass der moralische Kompass des Titelhelden, um kein Stück besser ist, als jener von Kakihara. Nicht nur, dass Ichi von seinen Gewalttaten sexuell erregt wird – er masturbiert bei der Vergewaltigung im Intro – und auch wenn er den Zuhälter schlussendlich überwältigt, dann nicht, um die Frau von ihren Qualen zu erlösen, sondern um ihr zu versprechen, dass sie fortan von ihm verprügelt wird. Bei diesen Worten entgleiten nicht nur der guten Dame die Gesichtszüge.
Doch im Gegensatz zu den unterdrückten Trieben von Ichi, lebt Kakihara seine Fantasien voll aus – ohne Rücksicht auf Verluste, bei sich oder bei anderen; und vor allem tut er dies reflektiert. Kakiharas Boss war der einzige, der ihm befriedigend Schmerzen zufügen konnte. Das Verschwinden seines Bosses löst bei Kakihara daher auch eine wesentlich größere Krise aus, als die Situation zuerst den Anschein macht. Zuerst will er den Tod nicht wahrhaben und ist danach auf der Suche nach Ersatz, den er erhofft in Ichi zu finden.
Darauf legt Miike in seiner Inszenierung den Fokus und degradiert damit Ichi hauptsächlich zum Mittel zum Zweck.

Ichi the Killer
Ichi (japanisch für 1) in seinem Superheldenkostüm

Eine groteske Reise in Tokios Unterwelt

Auf unserer Reise mit Kakihara in Tokios Unterwelt bekommen wir nun einen wilden Genre-Mix aus Yakuza-Thriller, Superheldenfilm, Drama, Groteske und Splatter zu sehen, der eher episodenhaft erzählt ist. Dennoch schafft es Miike einen roten Faden durch Ichi the Killer zu ziehen und ihn spannend zu halten. Die gesamte Handlung läuft auf den großen Showdown zwischen Kakihara und Ichi hinaus, der, wie könnte es bei Miike anders sein, herrlich antiklimaktisch, aber dennoch unfassbar rund ist. Doch vor allem der wahnwitzige Weg dorthin kann richtig viel Spaß machen, wenn man sich auf die irre Welt erst einmal eingelassen hat. Entsprechend dem Genre-Mix ist Ichi auch ein Wechselbad der Gefühle und der Grat zwischen grotesker Komödie und brutal-düsterem Drama ist schmal. Das führt zu einer für Miike durchaus typischen Atmosphäre, die insbesondere von Absurdität und Ungewissheit geprägt ist – denn in dieser Welt kann jederzeit alles passieren.

Optisch orientiert sich Miike sehr am Manga-Stil und bietet dementsprechend viel überspitzte Gewalt. Wie von Nippon-Splattern im Stile von Tokyo Gore Police oder The Machine Girl gewohnt, sind diese Gewaltspitzen eine Mischung aus CGI und handgemachten Effekten. Bei den Practical Effects sind klare Parallelen zu Kill Bill zu erkennen: Blutfontänen en masse.
Und trotz all seiner Härte könnten Gorehounds durchaus enttäuscht sein, denn Ichi ist bei weitem nicht so hart, wie er gehandelt wird. Es sind hier vielmehr die kruden Absonderlichkeiten, die Miikes Werk hervortreten und zartbesaitete ZuschauerInnen die Flucht ergreifen lassen.

Fazit

Unterm Strich ist Takashi Miikes Ichi the Killer ein spannender Genre-Mix, der etwas sperrig daherkommt. Wenn man sich jedoch auf Miikes groteske Welt und die zwei Antagonisten einlassen kann, bietet der Film ein flott inszeniertes Yakuza-Superhelden-Splatter-Drama rund um die durchaus faszinierende Liebesgeschichte eines Sadomasochisten.

 

Bewertung

Spannung Rating: 3 von 5
Atmosphäre Rating: 4 von 5
Gewalt  rating4_5
Ekel  rating3_5
Story  Rating: 3 von 5

Bildquelle: Ichi the Killer © I-On New Media

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?