Ghostwatch
Kritik

Ghostwatch (1992) – Review

Stell dir vor, Netflix spinnt gerade rum, aus deiner Sammlung lacht dich auch nichts an, also zappst du durch die TV-Landschaft. Im ZDF läuft gerade eine Live-Sendung mit dem Namen „Geisterjagd“. Du lässt die Fernbedienung erst einmal sinken und lauscht, wie Jörg Pilawa im Studio mit einer Parapsychologin über die Existenz von Geistern spricht. Nun wird live in ein Haus geschaltet, in dem es spuken soll. Eine Reporterin des ZDF ist vor Ort und spricht mit der Familie über die paranormalen Erscheinungen, denen sie heute Nacht auf den Grund gehen wollen. Währenddessen rufen im Studio schon die ersten Leute an, die von eigenen Erfahrungen mit Geistern berichten.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Ghostwatch
Großbritannien
91 Minuten
Lesley Manning
Stephen Volk
Michael Parkinson, Sarah Greene, Mike Smith u.a.

So ähnlich lief es 1992 ab, als die britische BBC ihren Beitrag Ghostwatch ausstrahlte. Präsentiert wurde die vermeintliche Live-Sendung vom Talkshow-Moderator Michael Parkinson, unterstützt durch weitere bekannte BBC-Persönlichkeiten wie Sarah Greene und Craig Charles, die direkt vor Ort berichteten.
Die Reporter nehmen ihre Sache alles andere als ernst, so lässt Charles es sich nicht nehmen, seiner Kollegin Greene einen halloweenreifen Streich zu spielen. Die BBC und wohl auch ein Großteil des Publikums rechnen damit, in dieser Nacht einen Schwindel aufzudecken und sich einen spaßigen Abend zu machen. Doch dieses Vorhaben entpuppt sich schon bald als naiv und überaus fahrlässig…

Ähnlich wie Orson Welles‘ Radio-Hörspiel „Krieg der Welten“, welches die Menschen ebenfalls für echt hielten, schlug auch Ghostwatch ein wie eine Bombe. Während des Films wurde die offizielle Telefonnummer der BBC eingeblendet, welche auch für andere Shows Verwendung fand. Bevor die Zuschauer ihre Erfahrungen telefonisch mitteilen konnten, sollten sie zwar per Tonbandaufnahme darüber aufgeklärt werden, dass die Show nur gestellt sei – allerdings kam ein Großteil der Anrufer nicht über das Besetztzeichen hinaus, was die Authentizität noch einmal steigerte, anstatt die Leute zu beruhigen. Ein Jahr vor Mann beißt Hund und sieben Jahre vor Blair Witch Project setzte Ghostwatch in nahezu perfekter Weise das Found-Footage-Prinzip um. Mit wackeliger Handkamera und dem bekannten BBC-Personal, war die Show täuschend echt. In der Konsequenz wurde die BBC von irritierten und verängstigten Anrufern überflutet. Der TV-Sender musste, gerade auch für einige verstörende Szenen, viel Kritik einstecken und verbannte die Mockumentary für die nächsten zehn Jahre aus ihrem Programm. Fans mussten sich auch lange gedulden bis der Film 2002 zum ersten Mal als VHS und DVD auf den Markt kam, eine deutschsprachige Veröffentlichung gibt es bis heute nicht.

Ghostwatch

Ghostwatch damals live gesehen zu haben, muss ein prägendes Erlebnis gewesen sein. Doch auch allen, die nicht in diesen Genuss gekommen sind, möchte ich den britischen Film ans Herz legen, der nach wie vor zu den besten Found-Footage-Streifen aller Zeiten zählt.
Dramaturgisch ist der Film, nach einem Drehbuch von Stephen Volk (Gothic), äußerst geschickt aufgebaut, wiegt uns lange in Sicherheit, nährt aber gleichzeitig die Skepsis, dass etwas hier nicht ganz stimmt. Der Geist, den die Töchter der Familie „Pipes“ getauft haben, da er gerne gegen Rohre (engl. Pipes) klopft, wird zu Beginn äußerst dezent eingesetzt. Wie wohldurchdacht dies konstruiert ist, erkennt man an einer Aufnahme aus dem Schlafzimmer der Töchter, die im Studio als Video gezeigt und von Parkinson und der Parapsychologin Dr. Lin Pascoe analysiert wird. Die Szene wird mehrfach abgespielt und während Pipes beim ersten Mal noch recht deutlich zu erkennen ist, bleibt am Ende nur noch ein undeutlicher Schatten, der auch im Studio als solcher klassifiziert wird. Pascoe erklärt, dass das menschliche Gehirn dazu neige, bekannte Formen zu erkennen, auch, wenn diese gar nicht da seien. Auch wir selbst müssen uns daraufhin fragen, ob wir kurz zuvor wirklich Pipes gesehen haben wollen oder uns nicht gerade unser Gehirn einen Streich spielt.
Hier hat Ghostwatch vielen anderen, vor allem auch konventionellen Geisterfilmen, etwas voraus. Er will uns nicht mit Spukerscheinungen erschrecken, sondern ganz langsam und unbemerkt den Halt nehmen. Pipes wird sehr oft versteckt und kaum sichtbar eingeblendet. Meist so, dass wir uns erst im Nachhinein fragen: War da nicht gerade eine Reflexion im Fenster, waren da Gesichtszüge in der Finsternis? Dies erzeugt ein zunehmendes Gefühl der Unsicherheit und damit auch eine unheimliche, bedrohliche Atmosphäre.
Mitsamt der gelungenen Hintergrundgeschichte für Pipes gelingt es Ghostwatch, die Spannung bis zum grandiosen Finale aufrechtzuerhalten und uns mit offenem Mund zurückzulassen.

Fazit

Ghostwatch ist ein großartiges Found-Footage-Erlebnis, das in dieser Form seinesgleichen sucht. Die Geschichte rund um die Live-Show ist glänzend konstruiert und steigert die Spannung ins Unermessliche. Leider lässt ein deutsches Release nach wie vor auf sich warten, dafür kann ich den Griff zum UK-Import wirklich empfehlen. Eine unbekannte Perle, die wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.

 

Bewertung

Spannung Rating: 4 von 5
Atmosphäre Rating: 4 von 5
Gewalt  Rating: 1 von 5
Ekel  Rating: 0 von 5
Story  Rating: 5 von 5

Bildquelle: Ghostwatch © BBC

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?