Der goldene Handschuh
Kritik

Der goldene Handschuh (2019) – Review

In seinem neuen Film erzählt Fatih Akin die Geschichte des berüchtigten Frauenmörders Fritz Honka, der in den 1970ern ganz Deutschland in Angst und Schrecken versetzte. Der goldene Handschuh versucht sich als Milieustudie und kennt dabei keine Berührungsängste: Es wird dreckig, ekelhaft und hässlich.

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Der goldene Handschuh
Deutschland/Frankreich
115 Minuten
Fatih Akin
Fatih Akin
Roman „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk
Jonas Dassler, Margarete Tiesel, Katja Studt u.a.

Inhalt

Der goldene Handschuh ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Heinz Strunk, welcher auf dem Leben des realen Serienmörders Fritz Honka beruht.
Hamburg-St. Pauli in den 1970ern: Fritz „Fiete“ Honka ist ein klassischer Verlierertyp, der nachts regelmäßig in seiner Stammkneipe „Zum Goldenen Handschuh“ anzutreffen ist. Dort stellt der Alkoholiker einsamen Frauen nach, aber keine hat Interesse an dem Mann mit dem entstellten Gesicht. Gelingt es ihm hin und wieder doch, eine besonders unansehnliche Gelegenheitsprostituierte mit alkoholgeschwängerten Versprechungen in seine Wohnung zu locken, geht das für seine Begleitung selten gut aus. Denn Fritz Honka ist nicht der harmlose Kneipengast, für den er sich ausgibt, sondern einer der bekanntesten Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte …

Kritik

Der goldene Handschuh ist kein typischer Serienmörderfilm. Die Gewaltdarstellungen sind, zumindest für den durchschnittlichen Horrorfan, durchaus erträglich. Unangenehm, aber auch weit entfernt von einem Skandalfilm wie Maniac. Die Morde, sowie die anschließende Zerstückelung, ereignen sich meist außerhalb des Bildes, die Sicht wird mal von Honkas Rücken, mal von einem Türrahmen versperrt. Splattereffekte sind dementsprechend rar gesät. Doch die Kamera überlässt keineswegs alles der Phantasie, sondern kann auch erbarmungslos draufhalten. Beispielsweise, wenn Honka sich minutenlang nackt mit einer massigen Prostituierte durch die komplette Wohnung prügelt oder einer anderen Prostituierten nach der gemeinsam verbrachten Nacht derart hart ins Gesicht schlägt, dass sie ihr Gebiss verliert, bevor er die winselnde Frau an den Haaren aus der Wohnung schleift.

Der goldene Handschuh

Für solche Szenen holen die Schauspieler wirklich alles aus sich heraus. Jonas Dassler (Werk ohne Autor) ist in seiner Rolle als Fritz Honka eine Offenbarung, auch die Maskenbildnerinnen haben hier hervorragende Arbeit geleistet. Auch die Nebendarsteller wie Margarete Tiesel (The Dark) oder Martina Eitner-Acheampong (Erika aus Stromberg) gehen sichtbar bis an ihre Grenzen. Honka dabei zuzusehen, wie er die verwahrlosten Frauen demütigt und dabei seine eigene Überlegenheit genießt, während sie die Qualen apathisch über sich ergehen lassen, ist hart. Eine wirkliche Zumutung für den Zuschauer stellt das aber nicht dar, dazu reihen sich die Bilder zu beliebig aneinander. Die wievielte Frau Honka gerade eigentlich tötet, den wievielten Korn er kippt oder Duftbaum er aufhängt, das verliert sich irgendwann. Dadurch wird der Zuschauer in denselben Sumpf aus Bedeutungs- und Perspektivlosigkeit gezogen, in dem wohl auch Honka feststeckt. Da die Figur aber trotz der grandiosen Performance von Dassler relativ eindimensional bleibt – wenn er trinkt, mordet er; lässt er das Trinken sein, hört auch das Morden auf – läuft das Psychogramm hier leider ins Leere. Die Figuren leiden, sie sind an der Gesellschaft und am Leben gescheitert, haben sich selbst aufgegeben. Bloß, warum das so ist, das interessiert den Regisseur reichlich wenig.

Der goldene Handschuh

Worin Der goldene Handschuh hingegen brilliert, ist seine Atmosphäre. Die Bilder aus Honkas Wohnung wirken, als hätte Akin die Tatortfotografien von damals zum Leben erweckt. Piefiges 70er-Jahre-Interieur, die Wände wie tapeziert mit den Magazinbildern hunderter nackter Frauen und überall leere Schnapsflaschen. Dazu die Duftbäume, die in der gesamten Wohnung verteilt sind und einen ganz speziellen Geruch überdecken sollen. Denn Honka hortet die zersägten Leichen seiner Opfer; er lebt mit den verwesenden Körperteilen, bis Maden durch die Decke der Nachbarn quellen. Je mehr Duftbäume der Zuschauer dort hängen sieht, im Verlauf der Handlung werden es hunderte, desto flauer wird das Gefühl im Magen. Als sich selbst Honka angesichts des bestialischen Gestanks übergeben muss, möchte man es ihm beinahe gleichtun.

Akin setzt auf Ekel. Nicht nur die Leichenteile in Honkas Wohnung verrotten, auch den Besuchern des „Goldenen Handschuhs“, der titelgebenden Stürzerkneipe, kann man bei ihrem körperlichen wie seelischen Verfall zusehen. Dornkaat-Max, Soldaten-Norbert und Tampon-Günther sind nur drei von zahllosen Stammgästen des Reeperbahn-Etablissements, das auch Honka häufig aufsucht. In dieser überaus weltlichen Vorhölle trifft man auf gescheiterte Existenzen jeglicher Art, die mit billigem Fusel und rührseligen Schlagern das eigene Elend zu betäuben versuchen. Akin beschönigt hier nichts. Dass er die Charaktere aber als sympathische Originale mit markigen Sprüchen zeigt, mit denen man herzhaft (und politisch vollkommen unkorrekt) lachen kann, geht auf Kosten des Mitleids. Zu karikaturesk wirkt die ganze Szenerie, um ein tatsächliches Mitgefühl aufkommen zu lassen. So ist Der goldene Handschuh weniger Horrorfilm als Tragikomödie, auch, wenn das Lachen mitunter im Halse stecken bleibt.

Fazit

Von den vom Zigarettenqualm vergilbten Vorhängen im „Goldenen Handschuh“ bis hin zur schmierigen Wachstuchtischdecke in Honkas Wohnung – die Detailtreue ist beeindruckend. Akin ist ein guter Beobachter und darum sind die Szenen „aus dem Milieu“ auch die stärksten, wenngleich sie sich zuweilen hart an der Grenze zur Parodie bewegen. Visuell gelingt ihm mit Der goldene Handschuh ein beeindruckender Film mit hohem Schauwert, der inhaltlich jedoch schwächelt.

 

Bewertung

Spannung Rating: 2 von 5
Atmosphäre Rating: 5 von 5
Gewalt  Rating: 3 von 5
Ekel  Rating: 4 von 5
Story  Rating: 3 von 5

Bildquelle: Der goldene Handschuh© Warner Bros. Film Productions Germany

Horrorfilme… sind die Suche nach Erfahrungen, die man im echten Leben nicht machen möchte. Sie bilden individuelle wie kollektive Ängste ab, zwingen uns zur Auseinandersetzung mit Verdrängtem und kulturell Unerwünschtem – und werden dennoch zur Quelle eines unheimlichen Vergnügens.

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