Kritik

The Guilty (2018) – Review

Der dänischer Thriller The Guilty ist das Erstlingswerk von Regisseur Gustav Möller, der auch das Drehbuch mitgeschrieben hat. Der Spannungsbogen hält die Zuschauer*innen von der ersten bis zur letzten Minute in Atem: ein beeindruckend souveräner Einstieg ins Filmgeschäft.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Den skyldige
Dänemark
85 Minuten
Gustav Möller
Gustav Möller, Emil Nygaard Albertsen
Jakob Cedergren, Jessica Dinnage (Stimme) u.a.

Inhalt

Wir treffen auf Asger Holm (Jakob Cedergren, Dänische Delikatessen), einen Polizisten, kurz vor Ende seines letzten Dienstes in der Notrufzentrale Kopenhagen. Er wurde in diese aufgrund eines Vorfalls, dessen Rolle im Laufe des Films immer präsenter wird, strafversetzt. Es ist der Abend vor seiner Anhörung, die ihn wieder als Streifenpolizisten freigeben soll. Schnell wird klar, dass er diese Arbeit eher ungern macht; sein Ton ist rau und unsympathisch und er gibt auch schon mal den Anrufern die Schuld an ihren Notlagen. Etwa eine Viertelstunde vor Dienstschluss nimmt Asger einen Notruf entgegen. Laut seinem Computer stammt dieser von Iben Østergård (Jessica Dinnage, Netflix-Serie The Rain). Asger ist aufgrund der zusammenhanglosen Äußerungen kurz davor aufzulegen, als eine Stimme im Hintergrund ihm deutlich macht, dass dieser Notruf überaus ernst gemeint ist und die Person am anderen Ende sich zu Recht fürchtet – wird sie doch entführt und in einem Van zu einem unbekannten Ziel gefahren. Das Telefonat wird unterbrochen, bevor Asger einen genauen Aufenthaltsort erfragen kann. Er setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um Iben zu finden. An die Notrufzentrale gebunden, nutzt er andere als Augen und Ohren, geht bis an die gesetzlichen und moralischen Grenzen und ohne zu Zögern sogar darüber hinaus. Bis dieser Fall gelöst ist, wird sich Asgers Perspektive um einiges verschoben haben. Denn er muss sich seinen eigenen Dämonen stellen, um Iben vor den ihren zu retten.

Kritik

Die Kulisse in The Guilty ist überaus minimalistisch gehalten. Wir sehen lediglich Asger Holm in der Notrufzentrale. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen vermag es der Film einen durchgehenden Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Von Cedergren wird viel abverlangt, schließlich trägt er mit seiner Mimik und Gestik den Großteil des Films. Er ist neben dem Akustischen unser einziger wirklicher Anknüpfungspunkt zum Geschehen. Doch diese Aufgabe meistert er bravourös.
Auf einen Score verzichtet Möller nahezu komplett, lediglich am Ende setzt eine leise Melodie ein. Dafür ist während des Films das Hörbare überaus präsent und visuell. So sehr, dass ich mir nach dem ersten Sehen im Nachhinein absolut sicher war, dass Szenen außerhalb der Notrufzentrale zu sehen waren. Was jedoch nicht der Fall ist. Die Telefonate von Asger sind nur dermaßen lebendig und spannend  inszeniert, dass die Bilder im Kopf sehr real wirkten.

Dies war Möller überaus bewusst. Inspiriert von einem YouTube-Clip eines echten Notrufs und den dadurch in ihm ausgelösten Bildern, spielt er genau mit dieser Wirkung und zielt gerade mit dem Nichtgezeigten darauf ab, den Zuschauer*innen ein quasi individuelles Filmerlebnis zu ermöglichen, das sich vor ihrem inneren Auge abspielt.

The Guilty_Set

Möller versteht es, sehr viel aus den beschränkten Möglichkeiten des einseitigen Settings herauszuholen und Bild- und Tonebene in Einklang zu bringen. Eine Szene, die ich gern hervorheben möchte, weil sie dies eindrucksvoll veranschaulicht, ist jene, als wir mit Asger auf einer akustischen Ebene am Telefon verfolgen, wie die Polizisten in der Wohnung von Iben ankommen und einen grausigen Fund machen. Diese bedrückende Stimmung spiegelt sich auf der visuellen Ebene wider. Fast die Hälfte des Bildes wird von Dunkelheit erfüllt. Wir sehen Asger schräg über die Schulter, im unscharfen Fokus der Kamera streut die Leuchte der belegten Notrufleitung ihr rotes, bedrohliches Licht in den Raum und spiegelt sich in Asgers Auge.

Die technische Ausstattung der Notrufzentrale war sowohl faszinierend wie auch befremdlich. Jede anrufende Person gab es im System, mit Festnetznummer, Name, Mobilnummer, Adresse, Kennzeichen und bei Bedarf noch verknüpft mit dem Vorstrafenregister. Je nach Anruf gab es auch gleich eine Ansicht auf einer weltweiten Landkarte mit dem nächstgelegenen Mobilfunkmast, über den der Anruf kommt. Quasi Google Maps fürs Telefonieren. Wer einmal die Notrufnummer wählt, wird bei jedem neuerlichen Anruf zur gleichen diensthabenden Person durchgestellt. Im Film sehe ich es als legitimes Mittel, um Bewegung und Zusammenhänge darzustellen. In der Realität wäre mir allerdings ziemlich mulmig zumute, wenn ich wüsste, dass die Person am anderen Ende so viel von mir weiß, dies aber überaus einseitig ist. Obgleich es sicherlich recht praktisch wäre, wenn dadurch Notrufe und deren Koordination viel schneller und treffsicherer, der Faktor panischer oder geschockter Mensch (wie es nun mal der Fall ist, wenn man den Notruf wählt) minimiert würden. Hilfe käme viel schneller und unkomplizierter dort an, wo sie gebraucht würde. Doch dafür müssten wir die absolute Überwachung in Kauf nehmen. Und Polizisten wie Asger, die bei rechtlichen Beschränkungen auch mal mehr als ein Auge zudrücken. Wäre es das wert? Bei dem aktuellen Behördenumgang mit Datensicherheit (von den aktuellen Regierungen ganz zu schweigen), wäre das wohl ein eigenes Horrorthema für sich.

Fazit

Kurzum war The Guilty eines meiner absoluten Highlights des letzten Jahres, den man ohne Probleme mehr als einmal sehen kann. Immer wieder gibt es etwas Neues zu entdecken und selbst oder gerade wenn man die Story kennt, reißt es einen immer wieder mit. Es hat mich schon sehr beeindruckt, wie mit minimalen rein akustischen Mitteln visuelle Bilder gemalt werden. Auch die Story kann definitiv punkten. Vor allem damit, wie sie mit den Vorannahmen von Asgar und den Zuschauer*innen spielt, sie aufbaut, immer wieder vermeintliche Tatsachen schafft, die sich dann doch als ganz anders herausstellen. Es ist eben doch nicht alles so, wie es scheint und wir sollten uns wohl hüten, voreilig zu handeln, wenn wir das Gesamtbild nicht kennen. Auch wenn es noch zu früh ist, Möller nach seinem ersten Film mit den Großen der Thriller-Generation zu vergleichen, so zeigt er doch enormes Potential und könnte sich bald zu den bekannten Namen der Reihe wie Hitchcock oder Scorsese gesellen.

 

Bewertung

Spannung Rating5_5
Atmosphäre Rating: 4 von 5
Gewalt  Rating: 2 von 5
Ekel  Rating: 1 von 5
Story  Rating: 4 von 5

Bildquelle: The Guilty © Ascot Entertainment

Horrorfilme… sind die Spannung und das Spiel mit menschlichen Abgründen, ein Spiegel der Gesellschaft, Zeugnis namentlicher Grauslichkeiten und Erkundung grauslicher Namenslosigkeiten. Mal tief und schwer und dann gern auch mal ein bisschen Zombie-Musical oder Blutbad dazwischen. Denn Horror und Lachflash schließen sich nicht zwingend aus.

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