Anon
Kritik

Anon (2018) – Review

Die Welt der Zukunft – alle Menschen sind im Äther verbunden, einem System, das jegliche Privatsphäre verdrängt hat. Da gerät Detektiv Frieland (Clive Owen) auf die Spur eines mysteriösen Mörders…

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Anon
Deutschland
100 Minuten
Andrew Niccol
Andrew Niccol
Clive Owen, Amanda Seyfried, Colm Feore u.a.

Inhalt

Die Welt der Zukunft. Alle Menschen hängen an einem Äther genannten System, das jegliche Privat- und Intimsphäre verdrängt hat. So werden zwar Verbrechen sofort geklärt, doch es erlaubt auch den vollständigen Zugriff auf das Erinnerungsbewusstsein der Menschen. Alles ist sichtbar. Und dennoch geschehen weiterhin Verbrechen, so wie der aktuelle Fall für Detektiv Sal Frieland (Clive Owen, Children of Men). Das visuelle Sichtfeld eines Mannes wurde gehacked, der Tote sah aus der Perspektive des Täters, wie er erschossen wird, doch die Szene überzeugt Frieland nicht. Als die Polizisten im Äther die Erinnerungen des Toten anzapfen, stellen sie fest, dass der Tathergang offenbar manipuliert und die Bilder verändert wurden. Frieland macht sich an die Ermittlungen, während ihm sein eigenes Leben immer mehr entgleitet.

Sein kleiner Sohn ist vor wenigen Jahren verstorben, seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen und seine Freundin hat sich von ihm getrennt. Er ertränkt seine tiefen Depressionen im Alkohol. Und dann ist da noch eine mysteriöse Frau (Amanda Seyfried, Jennifer’s Body), die es irgendwie geschafft hat, sich dem Äther zu entziehen und nun ein Fehler im System ist. Frielands Leben gerät immer mehr ins Wanken …

Kritik

Die wackeligen Beine, auf der sowohl diese Zukunftsvision als auch Sal Frielands extrem depressiver Charakter stehen, kann man anhand einer einzigen Szene entziffern. Eine Frau, die offensichtlich zur Oberschicht und damit zur herrschenden Klasse gehört, meldet ihre Armbanduhr als gestohlen, diese lag in dem Bad eines Hotels vor einem Spiegel. Friedland geht in den Äther zu einer kurzen Erinnerung, die er mit ihr teilt, darin ist zu sehen, dass die Armbanduhr bereits fehlt, als die des Diebstahls bezichtigte Reinigungskraft sich dort aufhielt. Die bestohlene Dame geht und Friedland geht in der Erinnerung weiter zurück, wo gezeigt wird, wie die Reinigungskraft die Uhr stiehlt. Er kennt diese Szene bereits. Er ist Polizist, akzeptiert einen Diebstahl aus moralischen Gründen (die Frau hat damit ihre Wohnung bezahlt, wie er freimütig gegenüber seinem Kollegen äußert), d.h. er befürchtet weder dienstliche (Dienstvergehen, d.h. es gibt kein Monitoring) noch politische Konsequenzen (totalitäres System, Auflehnen gegen die Herrscherklasse – was die Oberschicht nun einmal ist). Und trotz seiner massiven Depression hat er genügend Kraft, diese Bürde für eine ihm völlig fremde Person auf sich zu nehmen.

Ein wesentlicher Bestandteil von Depressionen ist der Verlust von Antrieb und Energie, d.h. hier demontiert Niccol den Gesundheitszustand seines Protagonisten und des einzigen Charakters, für den ein tatsächlicher Charakteraufbau betrieben wurde mit einer einzigen Szene. Auch die Diebin befürchtet keine Konsequenzen, sonst hätte sie die Uhr nicht gestohlen. Wenn man jemanden dabei beobachten kann, wie er Sex hat, schläft oder einfach nur auf der Toilette sitzt, kann man ihn überall beobachten. Wenn jemand einen Job hat, würde er so etwas in einem totalitären System wagen? Der im Gehirn aller Menschen verankerte Äther ist ein derart tiefgründiger Eingriff in die Privat- und Intimsphäre, dass dies nur in einem totalitären System möglich wäre. Folgt man beispielsweise den Debatten um die Internetfreiheit oder die DSGVO, wäre so ein Eingriff in die Privatspähre oder gar, wie hier dargestellt, das menschliche Gehirn undenkbar und dies würde nicht in der näheren Zukunft funktionieren.

Die Polizei in Anon wirkt ebenso konzept- wie hilf- und zahnlos. Es ist nicht wirklich überzeugend dargestellt, dass ein einzelner menschlicher „Störimpuls“ im System so ein kontrollierendes Staats-Organ wie die Polizei zum Wanken bringt. Wie so ein totalitäres System funktioniert, haben Filme wie 1984, Fahrenheit 451 oder THX-1138 gezeigt. George Orwell wäre wahrscheinlich erschrocken über die heutigen Entwicklungen, noch mehr über den in diesem Film gezeigten Eingriff und die in 1984 kontrollierende Gedankenpolizei überglücklich über die sich bei Anon bietenden Möglichkeiten.

In Anon funktioniert die Welt offensichtlich nicht viel anders, als es heute der Fall ist. Es gibt abgesehen vom Äther kaum bis gar keine Weiterentwicklungen, weder wissenschaftlicher noch gesellschaftlicher Natur, zumindest wird davon nichts weiter gezeigt. Die Welt wirkt kälter, die Menschen isolierter, aber es wird kein familiäres Innenleben gezeigt und man hat das Gefühl, weiterhin in unserer Zeit zu sein. Friedland besitzt keine Familie, nur eine Ex-Frau, die er zwar immer wieder kontaktiert, die aber eigentlich nichts von ihm wissen will, und eine Ex-Freundin, sodass man selbst hier kaum auf einen gesamtgesellschaftlichen Zustand schließen könnte. Man könnte davon sprechen, dass diese Szene ein Plotloch ist, aber leider ziehen sich diese Dinge durch den gesamten Film.

Wenn der Äther, der den Menschen seiner Privat- und Intimsphäre beraubt, akzeptiert ist, muss es eine entsprechende Entwicklung gegeben haben. Diese gab es aber offenbar nicht, sonst würden die Charaktere anders handeln. Von dem totalitären System geht offenbar keine Bedrohung aus, wenn jeder bereit ist, dagegen zu verstoßen. Selbst Homosexualität ist ein derart gesellschaftliches Tabu, dass es unbedingt geheim gehalten werden muss und man ist bereit, dafür das Gesetz zu brechen, was der Eingriff in den Äther bedeutet; entweder gab es hier eine Rückentwicklung oder auch dieser Punkt wurde nicht weiterentwickelt.

Die „futuristische“ Welt, die Niccol entwirft, besteht also lediglich aus dem Äther und einer zunehmenden Isolierung in der Gesellschaft; nicht, dass es nicht ähnliche Trends zur Vereinsamung in der heutigen Zeit bereits gibt. Niccol nahm hier also lediglich aktuelle Entwicklungen, setzte ein weiteres Element, dass wie eine Kombination aus Internet und realem Cyberspace wirkt und setzte beides zusammen, ohne es vernünftig weiterzuentwickeln.

Es handelt sich nicht um einen Science-Fiction-Film mit einem Krimi-Plot wie Blade Runner. Der Film-Klassiker mutete futuristisch an, die Welt war mit entsprechenden wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen weiterentwickelt und die Sci-Fi-Elemente neben einer tief greifenden philosophischen Frage das treibende Element. Stattdessen handelt es sich um einen herkömmlichen Krimi mit einem aufgesetzten Science-Fiction-Plot, denn im Mittelpunkt steht die Tätersuche und das Äther dient dabei als Mittel zum Zweck. Selbst wenn zwangsläufig die Frage auftaucht, wie die Taten begangen werden konnten. Dabei vertuscht der Täter seine Spuren, in dem er sich in den Äther seiner Opfer hacked und die Abfolge der Szenen manipuliert, was jedoch analysiert werden kann; wie wir später erfahren, können Erinnerungen aber auch wohl recht einfach gelöscht werden.

Die zig mal verfilmte Story um einen depressiven Cop, der auf der Spur einer mysteriösen Person ist, die anscheinend eine Mordserie begangen hat, ist hier ebenfalls bestenfalls halbherzig, ohne Tempo, ohne funktionierenden Spannungsbogen inszeniert. Selbst die Dialoge sind langsam und verhalten. Das könnte man als Stilmittel ansehen, als Versuch der Annäherung an das anspruchsvolle Arthaus-Kino oder als Versuch, die Laufzeit des Films zu strecken, andernfalls würde man wahrscheinlich über eine inhaltliche Konzeptlosigkeit stolpern. Der Film hätte seine Geschichte nach 60 Minuten erzählt und das Konzept würde in der Form als TV-Episode wahrscheinlich sogar funktionieren.

Der Film hat eine Atmosphäre, Farbgebung und ist so ausgeleuchtet, dass der Film zweifelsfrei als Neo-Noir-Krimi oder Sci-Fi-Thriller, wie er angekündigt wurde, anzusehen ist. Visuell sieht der Film gut aus, wobei dieses Attribut heute, so hat es den Anschein, fast schon Standard in der heutigen Kinolandschaft ist. Damit sucht der Film jedoch auch Vergleiche, denen er nicht standhalten kann, weder im Neo-Noir-Thriller-Genre noch in der Neo-Noir-Sci-Fi. Dabei zeigte Andrew Niccol mit Gattaca, dass er es durchaus versteht, Sci-Fi-Elemente, Thriller und Charaktere zu entwerfen und zu einem hervorragend funktionierenden Gesamtgebilde zu verbinden. Selbst In Time war trotz seiner Schwächen ein immer noch sehr unterhaltsamer Science-Fiction-Film, auch dieses Attribut lässt Anon vermissen. Anon ist gewollt dem anspruchsvollen Arthaus-Kino näher als dem reinen Unterhaltungskino, womit er den puren Entertainment-Faktor bewusst niedrig hält. Für Die Truman Show, Terminal und Lord of War entwarf er neben fesselnden Handlungen auch Charaktere, die die Zuschauer involvierten. In Anon vermag er leider beides nicht überzeugend zu konstruieren. Clive Owen wirkt, als würde er schlafwandeln, ob das nun dem Charakter oder dem Drehbuch geschuldet ist. Amanda Seyfried hat kaum etwas zu tun, dabei würde ich gerne sehen, ob sie einer wirklich fordernden Rolle gerecht werden würde. Es gibt also auch keine wirkliche Identifikationsfigur.

Anon ist ein Film, der über eine sehr interessante Grundidee weder hinauskommt noch hinaus entwickelt wurde. Dabei fehlt dem Thriller der Thrill und der Science Fiction eine funktionierende Zukunftsvision. Ohne Clive Owen und Amanda Seyfried in den Hauptrollen wäre der Film wahrscheinlich auch gleich völlig in der Versenkung verschwunden.

 

Bewertung

Spannung Rating: 2 von 5
Atmosphäre Rating: 3 von 5
Gewalt  Rating: 1 von 5
Ekel  Rating: 0 von 5
Story  Rating: 2 von 5

Bildquelle: Anon © Koch Media

Horrorfilme sind eines der Genres des Films, den ich in seiner Gesamtheit seit meiner frühesten Kindheit und der ersten Begegnung mit den Kreaturen des Ray Harryhausen fast schon abgöttisch liebe. Im Horrorfilm taucht der Zuschauer nicht nur bis zu den Abgründen der menschlichen Seele, sondern häufig weitaus tiefer.

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