Secrets of a Soul
Kritik

Secrets of a Soul (2012) – Eine poetische Annäherung (Teil 1 von 2)

Carsten Frank erschuf zusammen mit Schauspielerin und Autorin Margarethe von Stern, beide bekannt aus Kooperationen mit Marian Dora, ein visuelles Kunstwerk, welches die Konventionen des Kinos weit hinter sich lässt.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Secrets of a Soul
Deutschland
84 Minuten
Carsten Frank
Carsten Frank, Margarethe von Stern
Margarethe von Stern, Beatrice Valentino u.a.

Diese poetische Annäherung verdanken wir unserem Gastautor Tim Rabenstein. Wir wünschen viel Spaß!

Auf den Vorteil endgültiger Gewissheit muss hier verzichtet werden – oder: Eine persönliche Interpretation von „Secrets of a Soul“, einem Film von Carsten Frank

Für Margarethe. Die Verrückte. Die Wahnsinnige. Die große Künstlerin.

0 – Prolog: Tanz auf der Klinge (!)

Ein Kokon, Schutz bietender Rückzugsort. Ein Sekret umhüllt das Mädchen in ihrem frühesten Stadium, die Entwicklung beginnt in Waben, im Schneckenhaus. Eindringlinge sind Raupen, an Flucht ist – noch – nicht zu denken. Larven umsorgen sie, wenig reifer als das, was sie zu schützen scheinen.

Grelle, irreführend unnatürlich grell-bunte Farben flackern zu einem abstrakt psychedelischen Klangteppich aus ritueller Stammesmusik, die keine ist. Margarethe tanzt – nein, nicht freudig; Rot birgt Gefahr in sich, Liebe, Wärme und Leidenschaft sind gegenwärtig nicht greifbar – den Tanz des Lebens. Verunsichert kriechend aber auch forschend, emotional noch leer, dadurch unabhängig, bestimmt erotisch und doch insektengleich chaotisch.

Die nackte Haut auf Mutter Erde, sogleich entführt von unbekannten Mächten, den gesichtslosen Männern in Schwarz, die ihr ohne Reue eine Hütte im Wald als neues Seelenheim auserwählen. Verängstigt und verzweifelt; Margarethe, gefangen in ihrer eigenen Welt – die sie nicht kennt. Wie ein wildes Tier. Das Bild erstarrt.

1 – Erstes Kapitel:  C’est la vie (Das Leben, das sie nicht wollte)

Ein Haus, Schutz bietender Rückzugsort. Eine menschlich-künstlich gesetzte Grenze. Gift… Rauchend beobachtet sie einen Kokon, ihre unsichtbare Entwicklung.

Unsicheres Krabbeln in der Moderne. Menschen, so seltsam wie sie nur das wahre Leben hervorbringt, werden von Margarethe hundeartig beäugt, beschnuppert. Wir sehen den Plattenteller kreisen, die Musik verstummt. Wir sehen ihn nicht, die Musik setzt wieder ein: wundervolles Aus-den-Angeln-Reißen der Filmgesetze. Küsse. Tänze. Bunte Lichter. Seidentücher im Bauchtanz, schwarzes Leder an Victor. Eine verwirrte, theatralisch-desorientierte Margarethe, die seekrank diese Bootsfahrt über sich ergehen lässt. Sie wollte dieses Leben nicht! Oder wollte das Leben sie nicht?

Ein stummer Schrei, losgelöst aus den Gesetzen der belanglosen Film… „kunst“. Eine transzendente Wirkung wird durch Fratzen, Standbilder und Tonaussetzer unterbunden. Im Mund Käfer – eine Verbindung zur Natur, das Verzehren, das In-sich-Aufnehmen… Noch wehrt Margarethe ab. Im Mund eine Uhr – die Zeit: Menschlich misshandelt und zum eigenen Nachteil herabgewürdigt, was einst Sonnenstrahlen schon lehrten. Immer unser Schneckenhaus im Auge – den Schutz bietenden Rückzugsort, der uns doch mehr gefangen nimmt als dass er uns gleich einem Kokon zu helfen vermag, unsere Flügel eines Tages zu entfalten.

Für uns unlesbare Zeilen auf Papier, unhörbare Worte Margarethes auf dem Bildschirm – ich bin ihr ebenbürtig orientierungslos… und gleichsam zwiespältig fasziniert. Französische Monster-Comics der 1970er bezeugen den Horror des Außenseitertums, dessen Bürden im Heute. Margarethe von Frankenstein. Kinderpuppen schwingen zum Blutigbeißen der Lippen – an ihr beißt man sich die Zähne aus. Von Tiergerippen bedroht scheut sie zurück; Angst vor dem Tod? Dem Zerfall des Kosmos? Oder vor dem Kosmos selbst, in dem das Sterben nicht weniger wiegt als Gebären?

2 – Nächstes Kapitel: Erforschung der eigenen Natur und die Verführung

Von neugieriger Hand geleitet ergründet die Pinzette den Kokon. Das Instrument erinnert an scherenartige Klauen, die nun unsere Gedanken aufwühlen wie den Körper einer leblosen Spinne.

Eine ruhige Erzählerstimme drängt mit allen Mitteln zur Kapitulation. Der Vorwurf der Dummheit, die Unterstellung von Hässlichkeit, das Lossprechen jeglicher Daseinsberechtigung ihrer „lächerlichen Existenz“, all dies wäre überwindbar, verkraftbar, kein Lockruf würde sie zweifeln lassen, keine bittersüßen Versprechungen von Liebe und Gebraucht-Werden sie verführen…

…aber nehmt Margarethe ihre Kunst, so treibt ihr nicht nur Teufel aus, nein, ihr treibt euch den Teufel geradewegs in eure eigenen Arme! Lasst Blödsinn Blödsinn sein, solang ihr ihn als diesen seht, vielleicht wird euch der Spiegel eines Tages den wahren Kretin zeigen. Verwandeln wird sich Margarethe von allein, ohne euch, eigenständig und nicht in eine falsche Schlange, so wie ihr welche seid.

Die Anschuldigungen und Forderungen trafen sie schwer, das Boot gerät aus dem Gleichgewicht, Margarethe droht in den Wellen zu versinken… „So einfach geht sterben“ – wenn man sich unterwirft! Doch was sie tat, ist ungewiss. Hat sie sich hinreißen lassen?

Secrets of a Soul

3 – Nächstes Kapitel: Wer bin ich  und wenn ja, wie viele?

Wieder das Haus. Doch diesmal ist es… „natürlicher“. Überall sieht man Kokons, Larven, das Licht strahlt nicht mehr gar so künstlich.

Beatrize. Beatrize betrachtet Fotografien, Kunstwerke von Margarethe, die sich offenbart, sich ihr öffnet. Offen ausspricht, dass ihr Selbst abhandengekommen ist an die Männer in Schwarz, die alles ins Chaos stürzen, sie entseelten, als sie ihren Körper verschleppten. Die Erzählerstimme entpuppt (sic) sich so als Margarethes eigene, sie ist ihr eigener Feind und hat sich in sich selbst verloren.

Wieder rauchend.

Ziellos scheint Margarethes Weg auf weiter Flur, beobachtet und bedrängt von den Männern in Schwarz mit Ästen – Stücken von Bäumen, dem Inbegriff des Waldes. Das Naturreich bewundern und zugleich fürchten, wenn es bedrohlich auf einen einzuschlagen vermag. Ambivalente Momente.

Ohne Widerstand wird sie nackt im Grünen überwältigt, sie weint. Sie erzählt alles Beatrize. Oder etwas vollkommen anderes?

Heuschrecken gefangen in Glas. In einer durchsichtigen Blase… Wer kennt es nicht, das Gefühl der Depersonalisation? Taub-trist, psychedelisch-monoton. So auch die klangliche Untermalung der Bilder. Alltag in Taklamakan.

„Existiere ich wirklich oder nur in Gedanken eines Buches oder einer anderen Person?“ Margarethes totale Verschmelzung mit der Kunst, eine Loslösung der Persönlichkeit aus dem weltlichen Kontext. Indes die Angst des Sich-Verlierens, des Abhandenkommens. Die Frage nach dem Für und Wider… bleibt. Gedankengänge gleichsam der Fotografien toter Natur: ambivalente Monumente.

Die Frage nach der Abhängigkeit von Mitmenschen. Die Notwendigkeit von Geselligkeit mit Menschen. An der Brust der Mutter – Beatrize – genährt; am Fleisch der Liebe – Beatrize – befriedigt; am Wort der Freundin – Beatrize – Kraft geschöpft.

Margarethe erwacht, ein Summen von Fliegen, das sie nicht schlafen lässt – oder ist’s doch nur Beelzebub, der über ihre Träume wacht?

Und ich, der hier schreibt, denke mir ihre Gedanken so: „Bin ich im Puppenstadium? Bin ich ein Mann in Schwarz? Könnte ich womöglich selbst Mutter Erde sein, unkontrollierbar und doch zyklisch wie Ebbe und Flut? Oder bin ich doch nur Beatrizes Unterworfene, der Menschen Heuschrecke im Glas? Bin ich Kunst? Der Teufel? Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“

Secrets of a Soul

4 – Nächstes Kapitel: Hilfe! Hilfe. Ausbruch. Aufbruch.

Margarethe kann keine klaren Gedanken mehr fassen. Das Loslösen von Barrieren gibt uneingeschränkte Freiheit, aber auch Verwundbarkeit. Wahnsinn nährt Freiheit. Aber auch Angst – vor der endlosen Weite des Geistes.

Dampf steigt aus ihrem Mund, als würde ein Feuer in ihr brennen… oder sie innerlich verglühen.

Die erste Geburt. Schüsse fallen, Kriegsgetöse. Dazu fortwährend das Fliegensurren.

Verendete Tiere und ein abstrakter Kokon – Sterben und Werden Seite an Seite. Eine lächelnde Margarethe, die das Geschehen sichtlich erregt, sie geradezu tierisch (sic) begeistert.

Worte fallen wie Schüsse, scharf und deutlich – von der „Hysterie“, dem „Wahnsinn“ verfallen zu sein, im „Krieg“ mit sich selbst, „Stille“ und „Einsamkeit“ im Wechsel mit „Panik“, „Halluzinationen“ und „Paranoia“, pathetisch gesprochen eine Symbiose aus „Blut“, „Untoten“, „Voodoo-Vergewaltigung-Hass“, theatralisch wird aus „Votze“, schmutziger Sexualität, „Orgasmus“ – geradezu „hypnotisch“, gefangen im „Hitze-Loch“, oder ist es doch nur eine psychische „Störung-Klaustrophobie“, „Paroxysmus“, eine „Phantasmagorie“?! Es wird immer abstruser, „Magnetismus“ – zieht Margarethe das Animalische an – oder das Animalische sie? Wer bin ich – und wenn ja, … – „Margarethe mal drei“. „Margarethe von X“, erdenke dir deinen eigenen Titel, deine eigene Geschichte, werde dir deiner Herkunft bewusst, ersetze das X! Und letztlich: „Beatrize Valentino“ – „Hilfe“. Ist sie – soll sie – wird sie – helfen?

Zeitgleich zum Wortgewirr schlüpft etwas. Ein Wesen bewegt sich. Sie widmet sich dem letzten Wörtchen… „Hilfe“ – sie greift zum Telefon, wählt, doch legt wieder auf, zügig, ohne zu warten. „Hilf dir selbst!“, könnte sie denken.

Sie betrachtet ihre Fotografien, schreibt in roten Lettern auf deren Rückseite – einen Hilferuf. An ihre Kunst, an sich selbst, ihren kommenden Taten zu entnehmen.

Sehnsüchtig sitzt sie am Fenster, fragt sich, ob man den Menschen trauen kann, sie mitnehmen kann auf die große Reise….

Ausbruch. „Eines schönen Tages habe ich dann beschlossen, Jagd auf die schwarzen Todfeinde zu machen, um meinen geschändeten Körper und meine gestohlene Seele wieder in Besitz nehmen zu können.“

Eiserner Wille. Sie isst wieder, ihr Leib gesundet und ihr Geist ist durch ihre Gedanken üppig genährt. Er hat begonnen – der Kampf Margarethes, sich Körper und Seele wiederzuholen. Die Gier nach Leben bringt den Verzicht auf das Sterben hervor, die Todeshypnose ist durchbrochen. Aufbruch.


Dies war der erste Teil von Tim Rabensteins Gastbeitrag. Hier geht es weiter zu Teil 2.

Bildquelle: Secrets of a Soul © Quiet Village Film

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