Blue My Mind
Kritik

Blue My Mind (2017) – Review

Im Horror-Fantasy-Drama Blue My Mind erzählt die Schweizerin Lisa Brühlmann vom Erwachsenwerden, körperlichen Veränderungen und Selbstfindung. Ein Coming-of-Age-Streifen, den man nicht verpassen sollte.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Blue My Mind
Schweiz
97 Minuten
Lisa Brühlmann
Lisa Brühlmann
Luna Wedler, Zoë Pastelle Holthuizen u.a.

Die Schweiz ist abgesehen vom wundervollen Sennentuntschi nicht für ihr lebendiges Horrorkino bekannt. Umso mehr hat es mich gefreut, den Debütfilm von Lisa Brühlmann im Programm des /slash Filmfestivals zu sehen – in Schwiizerdütsch mit englischen Untertiteln.

Blue My Mind handelt von der 15-jährigen Mia, die mit ihren Eltern gerade umgezogen ist. Sie muss sich daher nicht nur mit den üblichen Problemen, die die Pubertät so mit sich bringt, kämpfen, sondern sich auch noch in einem neuen sozialen Umfeld einfinden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten freundet sie sich mit der „coolen“ Clique rund um Gianna an, die ihre Zeit mit Schulschwänzen, Alkohol, Drogen und Sex verbringt. Mia versucht Anschluss zu finden, hat aber mit körperlichen Veränderungen zu kämpfen, die weit über die Pubertät hinausgehen …

Blue My Mind steht in der langen Tradition an Coming-of-Age-Filmen, die sich den Mitteln des phantastischen Films bedienen. Paradebeispiele hierfür sind Werwolf-Filme, die sich schon seit Beginn der Filmkunst mit der männlichen Pubertät beschäftigen. Die Abkehr von der Kindheit und damit auch der kindlichen Unschuld, das Erwachen des Animalischen und die körperliche Transformation, besonders visualisiert durch den Haarwuchs. Wie in den meisten Bereichen des Kinos war dieses Thema über Jahrzehnte stark männlich geprägt; erst sehr spät wurde hier auch eine weibliche Perspektive entdeckt, die über den Damsel-in-Distress-Topos hinausgeht. Gerade in den 90ern wurden mit der Serie Buffy – The Vampire Slayer (1997-2003) und Filmen wie Der Hexenclub (1996) der Weg für eine weibliche Perspektive geebnet. Mit Ginger Snaps (2000) bekamen wir dann auch endlich unseren ersten rein weiblichen Werwolf-Film. 2015 zeigte auch das deutsche Kino mit Nachtmahr, dass es zu dem Thema was zu sagen hat. 2016 folgte mit dem französischen Raw ein weiterer Coming-of-Age-Film, der die Thematik mit den Mitteln des phantastischen Films visualisierte.

Blue My Mind
Luna Wedler als Mia

Genau hier setzt Blue My Mind an und stellt das Innenleben der 15-Jährigen Mia anhand ihrer Verwandlung zur Meerjungfrau dar. Zusammen mit ihrer ersten Periode bemerkt sie seltsame Veränderungen an ihrem Körper. Lisa Brühlmann stellt ihre Protagonistin vor die unmögliche Aufgabe, ihren Körper, vor dem sie sich nicht nur ekelt, sondern der sie auch in Angst und Schrecken versetzt, auch noch der Welt zu präsentieren. Sex ist hier mehr eine Pflichtübung und hat nichts mit Lust oder gar Liebe zu tun. Geborgenheit findet Mia in ihrer Freundschaft zur Klassenkameradin Gianna, bei der durchaus die Funken fliegen, welche aber nie sexualisiert wird. Der Fokus des Films liegt hier mehr auf den Auswirkungen von Mias Verwandlung auf sie selbst und ihre Beziehungen.
Brühlmann zeichnet dabei ein einfühlsames Bild einer Jugendlichen auf der Suche nach sich selbst. Die Regisseurin hat mit Luna Wedler als Mia und Zoë Pastelle Holthuizen als Gianna auch zwei wundervolle Hauptdarstellerinnen gefunden. Wedler gelingt es mit Bravour, die Verletzlichkeit und Unsicherheit ihres Charakters darzustellen. Insbesondere wenn diese plötzlich in Aggression umschlägt, offenbart sich das große Talent der jungen Schweizerin.
In Bezug auf Holthuizens Charakter ist auch besonders spannend zu beobachten, wie Brühlmann diese als stereotype Tussi einführt und dieses Bild im Laufe des Films immer mehr dekonstruiert. Solche dramaturgischen Kniffe helfen, dass Blue My Mind trotz aller phantastischen Elemente unglaublich geerdet und authentisch wirkt, was der Atmosphäre zugutekommt.

Blue My Mind
Mia und Gianna in blauer Zweisamkeit

Bei der Inszenierung arbeitet Brühlmann wie auch schon AKIZ bei Nachtmahr und Julia Ducournau bei Raw mit einem geschickten Genre-Mix. Nahtlos verbindet sie das zugrunde liegende Coming-of-Age-Drama mit einem Fantasy-Märchen und Body-Horror. Wie schon angesprochen sind die Bilder dabei passend zum Thema in kühlen Blautönen gehalten, die eine ungewöhnliche Geborgenheit und melancholische Grundstimmung zugleich vermitteln. Die Kamera ist dabei stets nah an den Protagonistinnen dran und damit folgen wir der Clique auf Augenhöhe auf Schritt und Tritt.

Blue My Mind gibt einen wundervoll feinfühligen Einblick in das Innenleben einer 15-Jährigen und kann zusätzlich mit einer Meerjungfrau und einigen Body-Horror-Elementen aufwarten. Für Hardcore-Horrorfans könnte dies etwas zu wenig sein, da das Drama und die Fantasy-Elemente überwiegen. Wer allerdings gefallen an Filmen wie Raw oder Nachtmahr findet, kann bedenkenlos zugreifen. Brühlmanns Geschichte über Selbstfindung ist Schweizer Genrekino, wie ich es sehr gern öfters sehen würde.

 

Bewertung

Spannung Rating: 1 von 5
Atmosphäre Rating: 4 von 5
Gewalt  Rating: 0 von 5
Ekel  Rating: 2 von 5
Story  Rating: 4 von 5

Bildquelle: Blue My Mind © tellfilm GmnH

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?