Wolf Creek
Abgründe

Backwood-Horror – Von Leatherface bis Tucker & Dale

Seit über 50 Jahren begeistert der Backwood-Horror seine Fans mit brutalen Ausflügen in abgelegene Gegenden. Wir nehmen das Subgenre genauer unter die Lupe und gehen der Frage nach: was ist eigentlich Backwood-Horror?

Im Backwood-Horror trifft eine urbane Bevölkerung auf ihre gesammelten Ängste vor dem Land und ihrer Bevölkerung. Der Backwood-Horror ist quasi die Gegenthese zur Aussteiger-Romantik. Wer sich von der Zivilisation und ihren kapitalistischen Zwängen verabschiedet, den erwartet hier jedoch keine ländliche Idylle fernab von Hektik und Stress, sondern psychischer Terror und ein grausamer Tod.

Dies spielt sich zumeist so ab, dass sich eine Gruppe auf die Reise begibt. Entweder steuern sie von vornherein irgendeine entlegene und isolierte Gegend an oder sie gelangen durch widrige Umstände, Stichwort Autopanne, widerwillig dorthin. Dort treffen sie dann auf eine mörderische, kannibalistische, degenerierte Inzuchtsippe, die die Gruppe meist in guter alter Slasher-Manier dezimiert. In seinen Mustern ist der Backwood-Horror dem Slasher ohnehin oft sehr nah, weswegen auch gern auf das Final Girl zurückgegriffen wird, welches sich schlussendlich denselben archaischen Methoden bedienen muss, um das eigene Überleben sichern zu können.

Das Subgenre erfreut sich auch nach über 50 Jahren immer noch großer Beliebtheit. Dies mag zum einen vielleicht wirklich an der Angst des verweichlichten Städters vor der Isolation und den gefährlichen Hinterwäldlern liegen, aber vor allem hat das Subgenre auch wesentlich mehr zu bieten als vor Inzucht-Schlächtern davonrennende Teenies.

Beim Sterben ist jeder der Erste
Beim Sterben ist jeder der Erste © Warner Home Video

Dies sieht man besonders eindrucksvoll, wenn man einen Blick auf die Anfänge des Backwood-Horrors wirft. Abgesehen von frühen Vorläufern des Genres in den 60ern wie Spider Baby (1964) mit Lon Chaney Jr. (Der Wolfsmensch) sowie Sid Haig (Haus der 1000 Leichen) und Herschell Gordon Lewis‘ Two Thousand Maniacs! (1964) waren es die 1970er, die das Genre prägten. Die 70er waren eine Zeit der Krisen und Veränderungen. Dies wirkte sich natürlich auch auf die Horror-Filme dieser Zeit aus. Der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit endete, was zu einem Industriesterben und immer höheren Arbeitslosenzahlen führte, der Watergate-Skandal erschütterte das Vertrauen in die politische Führung und ein vorwiegend urbaner Teil der Bevölkerung demonstrierte gegen den desaströsen Vietnamkrieg. Dies ist der gesellschaftliche Kontext in dem das Backwood-Subgenre durch Filme wie Beim Sterben ist jeder der Erste (Deliverance) (1972), Blutgericht in Texas (The Texas Chainsaw Massacre) (1974), Hügel der blutigen Augen (1977) und Die letzten Amerikaner (1981) geprägt wurde.

Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre ist dabei jener Film, der alles was wir heute von einem Backwood-Horror erwarten, schon in sich vereint und wird deshalb auch nicht ganz zu Unrecht als Geburtsstunde des Genres gefeiert. Und dabei porträtiert Hoopers Film natürlich auch den gesellschaftspolitischen Kontext. Die Familie rund um Leatherface war über Generationen im lokalen Schlachthof angestellt, bis ihre Jobs der wirtschaftlichen Krise zum Opfer fielen und ihr „American Dream“ zerplatzte. Im Gegensatz zu den Hippies, die ihrem kannibalistischen Lebenswandel zum Opfern fallen, stehen sie nicht in Opposition zu einem kapitalistischen System, sondern wurden von diesem abgehängt und tun nun alles dafür wieder aufzuholen. The Texas Chainsaw Massacre zeigt hier mehrere Bruchstellen der Gesellschaft in einer Komplexität auf, wie es wenige Genre-Filme seiner Zeit schafften – ob gewollt oder nicht.

Blutgericht in Texas
Leatherface in The Texas Chainsaw Massacre © Turbine Medien

Drei Jahre später schickt Wes Craven in Hügel der blutigen Augen das US-amerikanische Bürgertum zu den Folgen von Atomtests und den von der Regierung ignorierten Opfern. Während Craven wie zuvor Hooper einen Klassiker des Terrorkinos schuf, folgt Walter Hill mit seinem Action-Thriller Die letzten Amerikaner den Spuren von John Boormans Deliverance. Bei beiden Filmen bleibt der Horror eher auf der Strecke und doch bilden sie wichtige Stützpfeiler für das Subgenre. Während Deliverance als einer der ersten Backwood-Filme ohnehin stilbildend wirkte, ist Die letzten Amerikaner bis heute einer der komplexesten Filme zum Thema. Abgesehen von den für mich eindeutigen Referenzen zum Vietnamkrieg bietet der Film von Hill vor allem eine sehr differenzierte Perspektive auf das Feindbild des bedrohlichen Hinterwäldlers. Einerseits stellt der in den Sümpfen von Louisiana spielende Film die Frage, wer überhaupt für wen als Hinterwäldler gilt und andererseits verwischt er gekonnt die ansonsten oft so klaren Grenzen zwischen Gut und Böse. Wie auch schon in Deliverance wird auch hier ein Bild des überheblichen Städters gezeichnet, der sich der ansässigen Bevölkerung überlegen fühlt und somit viel zum aufkeimenden Konflikt beider Gruppen beiträgt.

Diese Ambiguität nahm in jüngerer Vergangenheit die spanisch-britisch-französische Koproduktion Backwoods – Die Jagd beginnt (2006) wieder auf. Mit Eden Lake (2008)  war es ebenfalls eine europäische Produktion, die wieder etwas frischen Wind ins Subgenre brachte, indem sie althergebrachte Genremuster mit dem damals aktuellen Diskurs über ausufernde Jugendgewalt (Stichwort Happy Slapping) in Zusammenhang brachte.

Tucker & Dale vs. Evil
Tucker & Dale vs. Evil © Universum Film

Davon abgesehen wurde der Markt mit etlichen nicht sonderlich innovativen Produktionen überschwemmt, die im Grunde immer und immer wieder dasselbe zeigten. Was qualitativ mal besser, Wolf Creek (2005), und mal schlechter, Charlies Farm (2014), gelang. Diese Fülle an Genre-Filmen hatte zumindest den Vorteil, dass all die Genre-Konventionen beim Publikum so bekannt waren, dass mit Eli Craigs Tucker & Dale vs Evil (2010) eine maßgeschneiderte Parodie auf den Backwood-Horror gedreht wurde. Darin müssen sich die zwei Hinterwäldler Tucker und Dale gegen hysterische Teenager erwehren, die geschult durch einige Genre-Filme in den zwei harmlosen Landeiern sofort das Böse schlechthin erkennen. Tucker & Dale verlässt sich darauf, dass sein Publikum die Gepflogenheiten des Genres kennt und kann somit gezielt mit den Erwartungen der Zuschauer spielen. Damit gelingt Craig eine clevere Hommage, die zugleich die Genrekonventionen auf den Kopf stellt.

So ist der Backwood-Horror vor allem auch durch langlebige Franchises wie Wrong Turn, dem wiederbelebten Texas Chainsaw Massacre oder Wolf Creek schon lange im Mainstream angekommen und als Subgenre eine feste Institution im Horrorbereich, das auch weiterhin fleißig bedient wird. Solange sich immer wieder ein paar kreative Ideen in die verlassenen Wälder und abgelegenen Gegenden verirren, freue ich mich auch weiterhin auf meine nächste Auszeit in der abgelegenen, ländlichen Idylle. Was soll schon passieren?

Titelbild: Wolf Creek © Kinowelt Home Entertainment

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?