Die blinde Bestie
Allgemein

Die blinde Bestie (1969) – Review

Mit Die blinde Bestie entführt uns Regisseur Masumura in den Bereich des erotisch-grotesken Nonsense. Ein wahrlich surrealer Ritt.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Vorlage:

Môjû
Japan
86 Minuten
Yasuzô Masumura
Yoshio Shirasaka
„Môjû“ von Edogawa Rampo (Roman)

Erotisch-grotesker Nonsense

Die blinde Bestie ist eine Literaturverfilmung von Edogawa Rampos Roman Môjû von 1931. Rampo gilt als Begründer des modernen japanischen Kriminalromans. Ab den 20ern verarbeitete er verstärkt bizarre Elemente in seinen Romanen. In dieser Entwicklung stellt Môjû ein Höhepunkt dar und hob zusammen mit anderen Werken die literarische Bewegung ero guro nansensu aus der Taufe. Ero guro nansensu ist ein sogenannter Wasei-eigo, was man am ehesten mit einem Pseudo-Anglizismus vergleichen kann, wobei die ursprünglichen Wörter noch weiter verarbeitet werden und mitunter eine neue Bedeutung bekommen. In diesem Fall beziehen sich die Begriffe auf ero(tic), gro(tesque) und nonsense. Ero Guro müssen dabei weder pornographisch noch gewaltvoll sein. Der Fokus liegt auf einer abnormalen, erschreckenden Form der Sexualität. Welche Formen von Sexualität nun als solche bezeichnet werden, hängt natürlich stark vom Zeitgeist und den Moralvorstellungen der Autoren und Autorinnen ab.

Ero Guro war im japanischen Kino besonders in den 1960ern sehr beliebt, zum Beispiel bei Teruo Ishiis Filmen Tokugawa – Gequälte Frauen und Horrors of Malformed Men. Letzterer basiert ebenfalls auf einer Vorlage von Edogawa Rampo. Ein jüngeres Beispiel wäre Sion Sonos Strange Circus von 2005.

In Rampos Moju, welchen ich leider immer noch nicht gelesen habe, folgen wir einem blinden Bildhauer, der in einem Vorort von Tokyo einen riesigen, unterirdischen Raum mit unzähligen Körperteilen von Frauen ausgestaltet hat. In diesen Raum entführt er junge Frauen, hält sie solange gefangen bis sie gefügig werden, missbraucht sie und wenn er ihrer überdrüssig wird, werden diese getötet, zerstückelt und entsorgt. Die Verfilmung von Yasuzo Masumura bezieht sich nur auf einen sehr kleinen Teil dieser Geschichte und auf ein einziges Opfer.

Ein kleiner Funfact am Rande für alle Anime-Fans: Edogawa war stark von westlicher Literatur inspiriert insbesondere von Edgar Allan Poe und Arthur Conan Doyle. In dem Anime Detective Conan dürfen diese dann auch für den Namen des Protagonisten Pate stehen: Conan Edogawa.

Ein surrealer Ritt in künstlerische Abgründe

Masumura inszeniert seine Literaturadaption zunächst als relativ klassischen Entführungs-Thriller. Die Erzählung und Dramaturgie sind äußerst simpel gehalten und fokussieren sich stark auf die Fluchtversuche der Gefangenen Aki. Wäre hier nicht das äußerst surreale Set, könnte man meinen es mit einem nicht sehr ungewöhnlichen Thriller zu tun zu haben. Doch allein schon die Einführung des Publikums in das surreale Atelier des blinden Bildhauers lässt erahnen was hier kommen wird. Assoziationen zu der von Salvador Dali gestalteten Traumsequenzen aus Hitchcocks Spellbound kommen auf – nur dieses Mal in Spielfilmlänge.

Doch bevor sich der Film dem kompletten, in der Intensität etwas unerwarteten Wahnsinn hingibt, ist es die große Stärke Masumuras aus verdammt wenig, sehr viel zu machen. Denn Die blinde Bestie ist zu einem großen Teil ein Kammerspiel mit drei Akteuren: der blinde Bildhauer, seine Mutter als Komplizin und deren Opfer. So sind es schlussendlich auch gar nicht die Fluchtversuche, die den Film vorantreiben, sondern die konstante Auseinandersetzung zwischen Bildhauer Michio und Aki, zwischen Künstler und Kunst. Diese starke Inszenierung vergisst man leicht einmal, sobald der Film die Grenzen zum Wahnsinn überschreitet.

So gut der Film in seiner visuellen Erzählweise auch funktioniert, so ist er doch psychologisch ziemlich unterfüttert. Steht der erste Schwenk in der erzählerischen Dynamik schon auf eher unsicheren Beinen, so bricht er beim Gang in den letzten Akt endgültig in sich zusammen. Das ist zugegebenermaßen äußerst ärgerlich und wird wohl der einen oder anderen Person ein fettes Fragezeichen ins Gesicht hämmern. Ich würde an der Stelle, und ihr werdet wissen welche ich meine, empfehlen, die Storyentwicklung einfach so zu schlucken, so unglaubwürdig sie auch sein mag, denn was danach kommt, ist es schlichtweg wert sich darauf voll und ganz einzulassen.

Denn ähnlich wie der fünf Jahre später folgende Klassiker Im Reich der Sinne begibt sich Die blinde Bestie auf die Reise in eine sado-masochistische Gewaltspirale, die insbesondere im Hinblick auf die Entstehungszeit ihresgleichen sucht. Dies schafft Masumura wiederum ohne jegliche Anbiederungen an das Exploitation-Kino und zeigt damit abermals, welch inszenatorisches Talent in dem japanischen Regisseur steckt.

So ist Die blinde Beste trotz ein paar Schwächen in der Charakterzeichnung und –entwicklung auch nach knapp 50 Jahren noch hervorragendes Extrem-(Kunst-)Kino, welches insbesondere durch sein surreales Setting, die schauspielerischen Leistungen von Eiji Funakoshi und Mako Midori und das inszenatorische Geschick von Regisseur Yasuzo Masumura glänzen kann und definitiv ein Film, den jeder Horrorfan mal gesehen haben sollte.

 

Bewertung

Spannung Rating: 3 von 5
Atmosphäre Rating: 4 von 5
Gewalt  Rating: 2 von 5
Ekel  Rating: 0 von 5
Story  Rating: 2 von 5

Bildquelle: Die blinde Bestie © Rapid Eye Movies

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?