sickhouse
Kritik

Sickhouse (2016) – Review

oder: Blair Witch Project für die nächste Generation

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:

Sickhouse
USA
68 Minuten
Hannah Macpherson
Hannah Macpherson

Von der Wählscheibe zu Snapchat

Mit meinen gut 30 Jahren bin ich nur ein halber Digital Native. Die technisch fortschrittlichsten Dinge in meiner Kindheit waren ein Game Boy und ein Super Nintendo. Ansonsten gab es Röhrenfernseher und zu Beginn sogar noch ein Festnetztelefon mit Wählscheibe – Letzteres find ich übrigens nach wie vor ziemlich cool. Internet, Web 2.0 und Social Media kamen erst in meiner Jugend so richtig auf und seitdem spielt sich auch ein Teil meines Lebens auf virtueller Ebene ab.

Daher interessiert es mich immer besonders, wenn mein Lieblingsgenre sich diesen Dingen annimmt, wie zum Beispiel Social Media, worüber ich letzte Woche einen kleinen Artikel verfasst hatte. Dort hatte ich versprochen euch noch diese Woche eine Besprechung des Snapchat-Horrors Sickhouse zu liefern, was ich hiermit brav einhalte. Im Gegensatz zu den großen, bekannten Plattformen und Tools, die in Unknown User und Unfriend verwendet wurden wie Facebook oder Skype mit denen ich selbst relativ viel zu tun habe, halte ich mit dem laufenden Fortschritt nicht immer Schritt. Pinterest habe ich bis heute nicht wirklich verstanden und auch Snapchat war nie meine Welt. Daher erschien es mir wichtig für ein besseres Verständnis des Films mir Snapchat zuzulegen. Nach etwas Rumspielerei darf ich mich hier mal ganz offiziell zum Affen machen:

Found Footage auf einer neuen Stufe

Für den Film ist ein rudimentäres Verständnis der Snapchat-Welt unabdingbar. Denn Sickhouse wurde ursprünglich auch auf Snapchat in Echtzeit über die Dauer von 5 Tagen veröffentlicht, was ich schon richtig, richtig geil finde. Hier wird auch ganz klar Richtung Blair Witch geschielt, welcher mit der damaligen Technik und dem Aufkommen des Internets grandioses schuf. An dieser Stelle muss man Macpherson auch wirklich Respekt zollen, denn sie kopiert Blair Witch nicht einfach wie es zig Filmemacher vor ihr taten, sondern sie entwickelt daraus etwas Neues und passt es perfekt auf die heutige Technik an.

Dafür nutzte das Team den Snapchat-Account von Youtube-Star Andrea Russett mit ihren damaligen 500 Tausend Followern als Vertriebskanal. Der Clou an der Sache: niemand wusste, dass alles nur inszeniert war. Dies stellte natürlich auch Cast & Crew vor ganz neue Herausforderungen. Dies fing schon beim Casting für die Hauptrollen an. Neben Andrea Russett wurden noch weitere Social-Media-Bekanntheiten eingespannt wie Sean O’Donnell und JC Caylen. Für die weiteren Rollen benötigten sie absolute Newcomer, die niemand erkennen würde, welche sie in Laine Neil (spielt Andreas Cousina Taylor) und Lukas Cage fanden. Die großen Herausforderungen begannen jedoch mit dem Dreh. Nachdem die rund 10-sekündigen Snapchat-Kurzvideos in Echtzeit publiziert wurden, mussten sie auch chronologisch gedreht werden. Wenn sie eine Szene vom Abendessen haben wollten, dann musste diese zu der entsprechenden Zeit der Snapchat-Gemeinde präsentiert werden, wofür auch nur wenige Takes möglich waren. Regisseurin Macpherson ließ ihre HauptdarstellerInnen dafür sehr frei miteinander interagieren. Die Ecksteine der Szene waren bekannt, alles andere sollte sich möglichst natürlich zwischen den handelnden Personen entwickeln, damit dieses auch authentisch wirken würde.
Damit gelingt Sickhouse was nur wenigen Filmen im Genre zu vor gelungen ist: es hebt das Subgenre auf die nächste Stufe und steht damit in einer Linie mit Nackt und Zerfleischt (OT: Cannibal Holocaust) und The Blair Witch Project.

Von Snapchat zum Final Cut

Gehören oben genannte Filme bis heute zu meinen Lieblingshorrorfilmen, wird mir Sickhouse wohl nur konzeptionell in Erinnerung bleiben.

Dies mag daran liegen, dass ich trotz meiner kleinen Snapchat-Selbsterfahrung kaum Bezug zum Kontext habe und auch mein Bezug zur digitalisierten Lebenswelt der heutigen Jugend eher gering ist – obwohl ich über die vergangenen Jahre viel mit Jugendlichen gearbeitet habe.

Es verwunderte mich auch etwas, dass Taylor, die die meiste Zeit die App benutzt, keine von Snapchats berühmt-berüchtigten Filtern einsetzt. Das war sogar das Erste was ich gemacht habe – nachdem ich 10 Minuten und ein Youtube-Tutorial gebraucht habe, um das überhaupt halbwegs zu kapieren. Ja ja, lacht ihr nur. Aber vielleicht sind die ganzen Filter auch schon wieder out – was weiß ich alter Mann denn schon.

Dies alles solltet ihr im Hinterkopf haben, wenn ihr euch den Snapchat-Horror anschaut. Er ist für ein jugendliches Publikum gedacht, welches noch nicht einmal auf der Welt war als Blair Witch damals für Furore sorgte und wurde auf einer Plattform veröffentlicht, die ihr vielleicht nicht einmal vom Hörensagen kennt.

So spannend das auch alles ist, birgt diese Machart auch ein Problem in sich. Als einzelne Snapchats mag das prima funktionieren, als durchgehender Film lässt er mich ziemlich im Regen stehen. Auf Jugendliche dürfte dies möglicherweise anders wirken (freu mich über Feedback von meinen jüngeren LeserInnen), aber ich hatte das Gefühl, dass 60 Minuten einfach nichts passiert. Macphersons Versuch auch einen kritischen Blick auf den Social-Media-Narzissmus zu werfen, ist durchaus ein interessanter Ansatz, kommt aber über Allgemeinplätze kaum hinaus. Übrig bleibt eine Ansammlung von Banalitäten, die mich zwar nicht langweilten, aber mein Interesse an den Charakteren auch nicht sonderlich erhöhten.

Das Schauspiel ist dabei erstaunlich solide und die Charaktere selbst ganz ok, aber rein dramaturgisch geht der Aufbau, der häppchenweise funktionieren mag, katastrophal in die Hose. Weder wird die Urban Legend um Sickhouse ausreichend ausgebreitet, sodass eine angespannte Erwartungshaltung entstehen könnte, noch werden die Charaktere in einem Maße weiterentwickelt, dass ein Interesse für diese aufkommt.

Originelles Storytelling – altbackener Horror

Daher funktionierte Sickhouse für mich als Horrorfilm leider so gut wie überhaupt nicht. Es wird leider zu wenig Zeit dafür verwendet eine bedrohliche Stimmung aufzubauen und zum Finale hin fällt Macpherson leider auch nichts anderes ein als mit verwackelten Bildern durch einen minimal beleuchteten Wald zu rennen beziehungsweise ein altes verfallenes Haus zu ergründen. Das habe ich schon zu oft gesehen und in den meisten Fällen zum Glück auch besser als hier.

Aber auch wenn es Sickhouse schlussendlich nicht gelingt wirklichen Horror zu erzeugen, so mindert dies nicht das großartige Konzept hinter dem Film, welches über weite Strecken gut umgesetzt wurde. Ich würde mir auf jeden Fall mehr solche Filme wünschen, die sich trauen etwas Neues auszuprobieren und dabei auch das Risiko eingehen auf die Schnauze zu fliegen. Ein Herz für die Innovation und daher auch meine Empfehlung sich den Film unbedingt anzuschauen: aber selbstverständlich nur stilecht auf Smartphone oder Tablet.

 

Bewertung

Spannung Rating: 2 von 5
Atmosphäre Rating: 3 von 5
Gewalt  Rating: 0 von 5
Ekel  Rating: 1 von 5
Story Rating: 4 von 5

Bildquelle: Sickhouse © Indigenous Media

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?