türkischer Horrorfilm
Kritik

Der moderne türkische Horrorfilm – Musallat (2007), Dabbe: Cin Çarpmasi (2013) und Siccin (2014)

Als ich Can Evrenols Baskin zum ersten Mal sah, war ich sofort begeistert. Was für ein phantastischer Genrebeitrag aus einem Land, das mir bisher nur durch billige Imitationen von Hollywoodblockbustern bekannt war. Natürlich war ich neugierig was das aktuelle, türkische Horrorkino noch so zu bieten hat.

Völlig ahnungslos surfte ich durchs Netz und fragte in diversen Horrorgruppen um Rat. Die Antworten waren in erster Linie Baskin und noch ein paar Mal Dabbe. Nicht sehr hilfreich, aber zumindest schon einmal den ersten Namen hatte ich notiert. Bei meinem Spaziergang über imdb orientierend an den Bewertungen tütete ich noch Siccin und Musallat von Alper Mestçi ein. Mir ist bewusst, dass das kein umfassendes Bild der türkischen Horrorlandschaft abgeben kann, aber es ist zumindest mal ein erster Einblick. Also dann, los geht’s!

Dabbe: Cin Çarpmasi (2013)

Bei Dabbe handelt es sich um eine in der Türkei sehr bekannte Horror-Reihe von Hasan Karacadag. 2006 gestartet erblickte 2015 der nunmehr sechste Teil der Reihe das Licht der Welt. Nachdem alle Teile recht ähnlich sein sollen und nicht wirklich aufeinander aufbauen, habe ich mir sagen lassen, wollte ich mir den besten Teil rauspicken und bin beim vierten Teil Dabbe: Cin Çarpmasi gelandet.

Wie auch die nachfolgenden zwei Filme ist Dabbe stark in einen türkisch-islamischen Kontext eingebettet. Es ist jedoch auch ohne jegliche Kenntnisse dieses Kontextes möglich den Filmen einwandfrei zu folgen, aber natürlich ist es nur von Vorteil, wenn man diese hat. So wird das titelgebende Dabbe im islamischen Kontext als Kurzform für „Daabbt al Ardh“ verwendet, was übersetzt so viel bedeutet wie „Tier aus der Erde“ und ist ein Zeichen des jüngsten Tages. Heutzutage wird dieses immer öfter mit dem Internet gleichgesetzt, weshalb die offizielle Schreibweise auch D@bbe lautet. Diese These wird in diesem Teil einmal kurz erläutert, hat allerdings ansonsten mit der Story des Films nichts zu tun.

Aber warum geht es beim vierten Teil von Dabbe überhaupt? Kurz zusammengefasst um die junge, skeptische Psychiaterin Ebru, die die Tätigkeit eines „cinci hoca“, quasi sowas wie ein Exorzist, mittels Kamera aufzeichnen und wissenschaftlich untersuchen will. Als Untersuchungsobjekt dient eine alte Freundin von Ebru, die wie es scheint von einem Dschinn (Cin) besessen ist.

Dabbe
Düstere Stimmung in der Türkei

Am Anfang dacht ich mir noch, dass der billige Trash-Look nur schwer zu ertragen sein wird. Da der Film allerdings auf Found-Footage setzt, treten die optischen Mängel in den Hintergrund und Regisseur Hasan Karacadag und Kameramann Halil Ibrahim Çekiç verstehen es gut den Stil zu nutzen. Einerseits schaffen sie es die budgetären Mängel zu verstecken, andererseits gehört Dabbe in der Tat zu jenen Horrorfilmen, die dem Stil eine gewisse Bedrohung abgewinnen können. Die Kamerabewegungen folgen dabei nicht ausschließlich der Found-Footage-Logik, sondern werden durchaus auch stilistisch eingesetzt. So entstammen schnelle Kamerabewegungen nicht immer der Situation, sondern werden mit Verfremdungseffekten und Montagen dazu eingesetzt die gewünschte Stimmung zu erreichen. Found-Footage-Puristen werden diesem freien Umgang mit den Konventionen des Subgenres wenig abgewinnen können, aber ich mochte diese unverkrampfte Herangehensweise sehr. Zudem sind auch die Außenaufnahmen der kleinen, pittoresken, türkischen Dörfer äußerst gelungen und versprühen ein ganz eigenes Flair.

Spannend ist auch die Gegenüberstellung einer urbanen, religionsskeptischen mit einer zutiefst religiösen, abergläubischen, ländlichen Bevölkerung. Ob der Film hier zu sehr für die eine oder andere Seite Partei ergreift, hängt wahrscheinlich stark vom eigenen Standpunkt ab, aber spannend ist es allemal.

Leider zieht sich der Film nach einer gewissen Zeit wie Kaugummi. Für über zwei Stunden Spielzeit hat Karacadag viel zu wenig zu erzählen. Unter 100 Minuten gestutzt wär hier noch mehr möglich gewesen. So fiel es mir trotz sehr spannender Sequenzen teilweise schwer die Konzentration aufrecht zu erhalten. Ein Blick lohnt sich dennoch auf alle Fälle, denn der Film weiß durchaus zeitweise für Angst und Schrecken zu sorgen.

 

Siccin (2014)

Auf den Kontext eingestimmt, ging es weiter mit Siccin und wieder bekommen wir es mit schwarzer Magie, Dschinns und Besessenen zu tun.

Im Gegensatz zu Dabbe tat ich mir mit Siccin jedoch richtig, richtig schwer. Dabei war ich zu Beginn wirklich sehr angetan. Wir bekommen aus dem Koran vorgelesen, danach geht es weiter mit einem sehr ästhetischen Intro, welches wohl ein schwarzmagisches Ritual darstellen soll. Auf jeden Fall sieht das schon wesentlich schicker aus, ja als Dabbe. Aber dann…

…passiert leider erst einmal nichts. Ein bisschen Eifersucht hier, ein bisschen schwarze Magie da und dazwischen ein paar Jump Scares. Reichlich unspektakulär. Der muss jetzt in den nächsten Akten ordentlich anziehen, wenn ich nicht wegdösen soll.

Neben der spannungsarmen Geschichte hatte ich vor allem ein großes Problem mit den Charakteren. Auf der einen Seite Öznur, die mit schwarzer Magie ihre Jugendliebe für sich gewinnen will und dafür nicht zurückschreckt, dessen derzeitige Familie zu töten und auf der anderen Seite ihr großer Schwarm, der gerne mal Frauen verprügelt. Zwischen diesen zwei furchtbar unsympathischen Menschen steht Kudrets Familie, die jetzt unter den zwei Wahnsinnigen leiden darf.

Wenn im zweiten Akt darf der Fluch so richtig durchstarten darf, kommt auch etwas Spannung rein. Leider wirklich nur etwas, denn es dümpelt immer noch gewaltig. Da helfen auch ein paar wirklich schön verstörende Momente leider wenig.

Wäre das nicht schon schlimm genug, ist das Ganze offenbar ein Lehrfilm gegen schwarze Magie und das meinen Alper Mestçi und Ersan Özer offenbar todernst. Denn das ist alles wirklich so passiert und jährlich leiden Tausende unter dem Einfluss von schwarzer Magie. Bitte sag mir jemand, dass das alles nur ein böser Scherz ist für den ich zu doof bin!

 

Musallat (2007)

Nachdem sehr enttäuschenden Siccin ging es mit etwas Skepsis weiter zu einem weiteren Werkt desselben Regisseurs – und dazu noch ein um sieben Jahre älteres Werk.

Positiv überraschte mich allerdings schon einmal das Setting, welches sich dieses Mal vorerst nach Berlin verlagert, was ich schon einmal eine sehr interessante Abwechslung finde. Es geht damit auch nicht um die türkische Landbevölkerung mit ihren religiösen Vorstellungen. Hier geht es erst einmal ums fremd sein. Auch um den Rassismus, der dem türkischen Protagonisten Suat entgegenschlägt.

Die Albträume und Halluzinationen, die Suat heimsuchen beginnen langsam seinen Alltag zu stören. Suat kann zu Beginn noch klar zwischen Traum und Realität unterscheiden, dies verschwimmt aber immer mehr. In diesen Momenten erinnerte er mich zeitweise an den herausragenden They Look Like People, welcher genau das in den Vordergrund rückt – sehr sehenswert!

Leider weiß Alper Mestçi wenig mit der tollen Prämisse anzufangen und nimmt nicht Suats Perspektive ein, sondern eine distanzierte, was dem Film viel an Kraft und bedrohlicher Atmosphäre nimmt.

Dass dies nicht so stark ins Gewicht fällt, liegt daran, dass der Regisseur im zweiten Akt den Fokus verschiebt und uns die eine oder andere gut durchdachte Storywendung bietet. Somit bleibt ein durchaus sehenswerter Dschinn-Horror, der ironischerweise dem Subgenre mehr Aspekte abgewinnen kann als seine zwei jüngeren Vertreter.

Abstecher in die Türkei

Das war jetzt also mein kleiner Abstecher in die Türkei und ich muss sagen im Großen und Ganzen war es ein vergnüglicher Ausflug, den ich gerne in Zukunft mit anderen Ausflugszielen wiederholen werde, denn ich bin überzeugt es gibt noch viel zu entdecken. Vor allem finde ich es sehr spannend zu sehen wie eine bestimmte Kultur und/oder die politische Lage Horrorfilme formen auch wenn ich als Laie sicher nicht immer alles verstehe oder korrekt deuten kann.

Da die Dschinn-Geschichten irgendwann selbst in der Türkei ausgelutscht sein werden, freue ich mich vor allem auf die Bearbeitung anderer Subgenres durch türkische Regisseure. Can Evrenol hat es mit Baskin vorgemacht und ich hoffe es werden noch viele folgen.

Bildquelle: Dabbe: Cin Carpmasi © AF-Media; Siccin © Pinema; Musallat © Maxximum

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?