Abgründe

Interview mit einem Vampir (1994) – Teil 1: Lestats Schmuck

In Interview mit einem Vampir trägt Lestat ein ganz besonderes Schmuckstück. Auf dieses wollen wir heute genauer eingehen.

Ist dir aufgefallen, dass Tom Cruise und Brad Pitt in dem Film lange Fingernägel tragen? Zwar wurde es nicht in jeder Szene konsequent durchgezogen, aber ein paar Bilder zeigen die Nägel ganz deutlich. Den Untoten wurde früher nachgesagt, dass Nägel und Haare wachsen. Natürlich stimmt das nicht, sondern durch die Austrocknung des Gewebes, zieht sich die Haut zurück und Fingernagel- Zahn- als auch Haarwurzeln werden sichtbar. Das wirkt dann so, als ob die Nägel, Zähne und Haare gewachsen wären. In Interview mit einem Vampir hat man das sehr dezent umgesetzt, zumindest was die Nägel angeht, die Haare wirken gerade bei Brad Pitt wie eine Löwenmähne, anstatt Länge gab es Volumen.

Der Film wurde 1994 von Neil Jordan gedreht. Er inszenierte auch The Crying Game, die Serie Die Borgias und Byzantium, übrigens auch ein fantastischer Vampirfilm. Die literarische Vorlage lieferte Anne Rice, die mit der Filmbesetzung zuerst nicht einverstanden war. Tom Cruise, der den Vampir Lestat verkörpert, war so gar nicht ihr Ding, aber als sie schließlich die Premiere sah, war sie begeistert. Als Jugendliche fand ich den Film klasse und was heute Robert Pattinson, Ryan Gosling, und Chris Hemsworth sind, waren in den 90er Jahren nun mal Brad Pitt, Tom Cruise und Antonio Banderas.

Inhalt

Der Titel spricht für sich selbst: ein Vampir gibt einem Reporter ein Interview. Es handelt sich um Louis (Brad Pitt), der seine Erzählung 1791 beginnt. Er war ein junger Plantagenbesitzer in New Orleans, dessen Frau im Kindbett starb. Louis hat den Verlust nicht verkraftet und wünscht sich selbst den Tod. Der Vampir Lestat (Tom Cruise) entdeckt ihn in einer Hafenkneipe und stellt ihn vor die Wahl zu sterben oder in einen Vampir verwandelt zu werden. Louis entscheidet sich für das ewige Leben.

Er kann sich jedoch nicht völlig von seiner Menschlichkeit lösen. Für ihn ist es grausam, sich von den Lebenden zu nähren und sie zu töten. Eines Tages, völlig ausgehungert, findet er Claudia (Kirsten Dunst), ein armes Mädchen, dessen Mutter an der Pest verstarb. Er sieht ihr Elend und kann seinem Hunger nicht mehr widerstehen. Louis ist über sich selbst schockiert und flieht. Lestat findet Claudia und nimmt sie mit nach Hause. Er sucht auch Louis und zeigt ihm sein neues Geschenk. Claudia soll ein Teil ihrer Familie werden und verwandelt sie in einen Vampir.

Louis hat nun endlich eine Familie und kommt besser mit seinem Schicksal klar. Claudia altert nicht, und nach über 30 Jahren möchte sie endlich ein eigenes Leben mit Louis beginnen. Sie überlistet Lestat und versucht ihn zu ermorden. Lestat ist schwer angeschlagen, überfällt die zwei, aber am Ende geht er in Flammen auf. Louis und Claudia verlassen Amerika und segeln nach Europa. Sie suchen nach anderen, die so sind wie sie. In Paris werden sie fündig. Louis trifft auf Armand (Antonio Banderas), wohl der älteste Vampir, den es gibt. Armond möchte einen Gefährten, jemand der mit der neuen Zeit zurechtkommt. Claudia hingegen ist ein Hindernis, und wird auf brutale Art beseitigt. Louis verübt daraufhin Rache und will mit Armand nichts mehr zu tun haben. Auch Lestat ist nicht tot, er findet ihn im 20. Jahrhundert in einer verfallenen Villa in New Orleans wieder. Louis entschließt sich als einsamer Vampir durch die Welt zu streifen.

Das Schmuckstück von Lestat

Da ich mich für Schmuck interessiere, fiel mir natürlich dieses besondere Accessoire auf. Tom Cruise trägt in seiner Rolle als Vampir eine Art Fingernagelkappe. Lestat verwendet es, um die Hauptschlagader seiner Opfer, oder sich selbst zu punktieren. Auf mich wirkt es wie ein abgeänderter Fingerhut, oder ist es doch ein chinesischer Nagelwächter?

Interview mit einem Vampir

Was ist ein Nagelwächter (nail guard)?

In der Qing-Dynastie (1644-1912) wurde es beim Adel Mode, die Fingernägel so lange wie möglich wachsen zu lassen. Lange Fingernägel bedeuteten, dass es nicht notwendig war, harte körperliche Arbeit zu verrichten. Sie standen für Wohlstand und verdeutlichten den hohen gesellschaftlichen Status. Damit sie nicht abbrachen, wurden meist kostbar verzierte Nagelwächter darüber getragen, die aus Schildpatt, Edelmetallen oder Stein gefertigt wurden. Sie waren mit Symbolen verziert, emailliert und mit Edelsteinen bestückt. In der Nacht gab es die weniger luxuriöse Variante, so wie man ein Nachtgewand anzieht, gab es auch für die Nägel eine eigene Garderobe.

Interview mit einem Vampir
Historischer Nagelwächter. Mehr Infos hier.

Als ich in China war, und das war nicht im 18. Jahrhundert, ist mir aufgefallen, dass Männer öfters lange Fingernägel tragen. Das hat mich sehr verwundert und ich wollte wissen warum das so ist. Man findet sie vor allem bei Männern, die sitzende Berufe ausüben, zum Beispiel bei Büroangestellten und Taxifahrern. Einerseits ist es genauso wie damals in der Qing-Zeit, ein Statuszeichen, eben kein Bauer zu sein, andererseits dienen die Nägel dazu sich Nase und Ohren zu putzen und sich die Haare zu kämmen. Lange Fingernägel sind in Asien ästhetisch, egal ob von Männern oder Frauen getragen.

In Europa sieht es ein wenig anders aus. Lange Fingernägel finden sich bei der Darstellung von Vampiren und Frauen, bei Männern ist es eher ungewöhnlich. Mein ehemaliger Musiklehrer hatte an einer Hand längere Fingernägel. Das lag daran, dass er Gitarre spielte und die Nägel ihm als Ersatz für das Plektrum dienten. Nagellack und Glitzersteine waren da aber nie drauf, denn die Nägel sind Werkzeuge und keine Ziergegenstände oder Statussymbole.

Erotik

Lestats „Fingernagelhutwächterwerkzeug“ deckt alle Komponenten ab. Es schützt den Nagel, aber ist Werkzeug zugleich. Auch die erotische Komponente wird in einer Szene betont. Lestat streicht einem Jüngling, sein nächstes Opfer, damit sanft über die Wange. Während in Asien lange Nägel nichts mit Homoerotik zu tun haben, verstärkt aus europäischer Sicht das Schmuckstück die Geste und die sexuellen Vorlieben Lestats. Schließlich werden lange Nägel in Europa als feminin wahrgenommen, da es sich um eine gesellschaftliche Zuschreibung handelt. Möglicherweise wird diese Szene in Asien völlig anders wahrgenommen.

Interview mit einem Vampir

Wer ist Lestat?

Der „nail protector“, ich nenne ihn jetzt einfach mal so, ist auch Ausdruck von Lestats Charakter. Er fühlt sich zum Adel hingezogen und ist gerne in ihrer Gesellschaft. Er könnte einfach zubeißen, so wie er es bei Louis getan hat, aber stattdessen pflegt er das Ritual und passt sich den Bräuchen der Adelsgesellschaft an. So wie an einer Essenstafel für alles Extrabesteck liegt oder Tänze in einer besonderen Reihenfolge im Rokoko geführt wurden, hat Lestat ein eigenes Werkzeug, um sich an seinen Opfern zu laben.

Interview mit einem Vampir

Wie du auf dem Bild siehst, trägt Lestat mehrere Ringe an den Händen und den Nagelwächter. Es sind Siegelringe, die, außer am Zeigefinger und Daumen, abwechselnd an den restlichen Fingern von ihm getragen werden. Wie du im zweiten Teil noch genauer sehen wirst, sind auch die Fingerringe wichtig für die filmische Handlung, denn sie betonen die Charaktereigenschaften und das Motiv der Protagonisten.

Aderlass: wie war es wirklich?

Seit der Antike war es üblich Menschen, oft und viel, zur Ader zu lassen, um die schlechten Säfte aus dem Körper zu vertreiben. Ein Werkzeug wie Lestat es besitzt, ist mir aber noch nicht untergekommen, stattdessen wurden Lanzetten (ähnlich wie ein Skalpell) oder sogenannte Schnepper verwendet. Der Schnepper hatte eine oder mehrere Klingen und wurde mit einer Feder aufgespannt. Man kann sich den Mechanismus wie eine Art Mäusefalle vorstellen. Das Instrument schlug eine 5 mm tiefe und 8 mm breite Wunde.

Interview mit einem Vampir
Schröpfschnepper

Das Fingernagelhutwächterwerkzeug von Lestat scheint also ein ganz besonderes Schmuckstück zu sein. Ein filmisches Schmuckstück im wahrsten Sinne des Wortes.

Im zweiten Teil geht es um Louis‘ Ringe und im dritten Teil um das Medaillon von Madeleine.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Talkingabout-Schmuck.com.

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