Lizzie Borden
Kritik

Lizzie Borden (2018) – Review

Kaum ein Mordfall bewegte die USA Ende des 19. Jahrhunderts wie der von Andrew und Abby Borden. Bis heute offiziell ungelöst, ranken sich viele Mythen und Legenden um die jüngste Tochter der Familie: Lizzie.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Lizzie
USA
105 Minuten
Craig William Mcneill
Bryce Kass
Kristen Stewart, Chloë Sevigny u.a.

Eine Warnung vorweg: die Review wird Spoiler enthalten!

Lizzie Borden ist die jüngste Tochter aus reichem Hause, die unter den Bedingungen ihrer Zeit und ihrer Familie leidet. Ihr knausriger, strenger Vater Andrew schirmt die Familie sehr von der Außenwelt ab und zwingt ihnen ein karges Leben weit unter ihren finanziellen und gesellschaftlichen Möglichkeiten auf. Die wenigen gesellschaftlichen Events, an denen Lizzie teilnimmt, werden häufig durch eine unberechenbare Krankheit getrübt, die weitere Isolation mit sich bringt. Sie fühlt sich eingeengt. Als das neue irische Hausmädchen Bridget eintrifft, ist dies für Lizzie eine willkommene Abwechslung. Während Lizzie sich der Gesellschaft erfreut, leidet Bridget unter den Übergriffen von Andrew Borden. Aus Lizzies Wunsch Bridget zu unterstützen wird schlussendlich mehr, bis am Ende ein großer Knall die Befreiung beider bringen soll.

Der reale Fall der brutalen Ermordung Andrew Bordens und seiner zweiten Frau Abby im ruhigen Städtchen River Falls 1892 gehört wohl zu den bekanntesten der US-amerikanischen Geschichte. Unzählige Filme und Serien zeugen von der gesellschaftlichen Wirkung, auch, weil er bislang als offiziell ungelöst gilt. Die einzige Hauptverdächtige: Lizzie Borden.
Lizzie wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen und weil im späten 19. Jahrhundert niemand einer Frau ein derartig gewalttätiges Verbrechen zutraute. Doch die Mythen und Erzählungen um sie verstummten nie.

Lizzie Borden took an axe
And gave her mother forty whacks
When she saw what she had done
She gave her father forty-one
(US-Amerikanischer Kinderreim)

Lizzie ist keine Dokumentation. Vielmehr wird versucht zu ergründen, was es bräuchte, ein Individuum dermaßen an den Rand des Erträglichen zu bringen, dass solch unbegreifliche Tat die beste Lösung zu sein scheint. Gerade weil die realen Hintergründe der Story sehr vage bleiben, hat der Film viel Spielraum selbige zu rekonstruieren.
Die Ausgangsthesen klingen spannend und vielversprechend. Faktoren, die einzeln nicht ungewöhnlich scheinen, verstärken sich in ihrem Zusammenspiel zu einem tödlichen Cocktail: von der Gesellschaft als Frau nicht geschätzt, von ihrem Vater an der kurzen Leine gehalten, von der Stiefmutter im Stich gelassen, die Schwester distanziert, kein Interesse an männlichen Bewerbern und dafür zu viel Interesse an der verbotenen Frucht in Gestalt der immer greifbaren Dienstbotin. Nur leider klingt das genauso vorhersehbar, wie es im Film gezeigt wird. Die einzelnen Ebenen werden mehr oder weniger nacheinander abgehandelt und bleiben vielleicht gerade deshalb abstrakt. Sie greifen nicht ineinander und die allumfassende bedrohliche Stimmung, die der Film aufbauen will, mag nicht so recht zustande kommen.

Lizzie Borden

Der minimalistische Cast gerade auch durch seine geringe Größe ist nicht im Stande, Lizzies eingeengte Welt wirkungsvoll darzustellen. Über gesellschaftliche Grenzen wird im Film in erster Linie gesprochen, sie werden aber nicht gezeigt. Das wäre aber entscheidend, um diese auch erfahrbar zu machen. Auch die Grausamkeit Andrew Bordens wurde lediglich angedeutet. Sie hätte einen wirkungsvollen Kontrast zu einer ersehnten Freiheit darstellen können. Was den Zuschauer*innen geboten wird, ist ein überzeichneter Geschäftsmann, der nicht weiß was er mit seiner unkonventionellen Tochter anfangen soll, außer ihr mit der Nervenheilanstalt zu drohen.
Das Zusammenspiel möglicher eskalierender Faktoren funktioniert für mich nicht.
Daran ändert auch das packende Schauspiel der Hauptcharaktere nichts. Insbesondere Kristen Stewart (Personal Shopper) glänzt als Bridget. Vom irischen Dialekt bis hin zu den kleinsten Blicken oder Gesten schwingen Emotionen und Hintergründe mit, sodass es nicht viel an Dialog braucht, um zu erklären was gesagt werden will. Chloë Sevigny (American Horror Story) verkörpert eine Lizzie, die gleichermaßen faszinierend wie fremd ist. Ihre beinahe stoische Reaktion auf jegliche Kommunikation steht in krassem Widerspruch dazu, dass der Film sie als Sympathieträgerin darzustellen versucht.

Äußerst positiv möchte ich hervorheben, dass in dem Film unfassbar viel Wert auf Details gelegt wurde. Von der Handhabung des Haushalts und Abläufen, die heute vergessen scheinen, weil sie durch bequemere Ausstattung abgelöst wurden – ein Herd, bei dem tagtäglich ein Feuer brennt oder das Wasser, das nicht aus der Leitung kommen kann. Bis hin zur Darstellung historischer Bedingungen, die nur wenigen bewusst sind, etwa dem Rassismus gegenüber Iren, der dazu führte, dass sie in Scharen in die neue Welt flohen – und der auch dort verbot mehr als Handlangertätigkeiten auszuüben. Die genauen Hintergründe von Bridget bleiben in Lizzie unbeleuchtet. Das Ausmaß ihrer ausweglosen Situation zeigt sich nur im Detail.

Lizzie Borden
Kristen Stewart und Chloë Sevigny als Bridget und Lizzie

Das Sounddesign und die musikalische Gestaltung sind sehr klar und minimalistisch gehalten. Das Knarren von Dielen, die Geräusche eines alten Hauses, unterstrichen von einem sich verdichtenden Duett aus Streichern und Klavier unterstützt die karge und kalte Stimmung des Films. Dies verdichtet sich zu einem mitreißenden Crescendo und entlädt sich in der grausamen Tat. Einzig der stellenweise offensichtlich manipulierende Einsatz, der etwa eine traurige oder bedrückende Szene darstellen soll, fiel negativ ins Gewicht.

Insgesamt ist Lizzie ein Film, der sich stark auf US-amerikanische Folklore bezieht. Die Geschichte um den brutalen Doppelmord der Borden-Familie und dem wohl empörenden Freispruch der einzigen Verdächtigen ist Teil des amerikanischen kollektiven Bewusstseins. Um Lizzie zu begreifen, ist viel unausgesprochenes Wissen rund um das Leben im späten 19. Jahrhundert in Nordamerika und um das US-amerikanische Rechtssystem notwendig. Der Fokus auf einer gesellschaftlich verachteten Verbindung (sowohl in sexueller als auch in klassenübergreifender Hinsicht) wirkt frischer, wenn man die Geschichte bereits unzählige Male gehört hat. Ohne dieses implizite Vorwissen ist die Herangehensweise keine neue, sondern eine – vielleicht die erste – von vielen. Unvoreingenommen für sich sehe und werte ich kleine Unstimmigkeiten einfach größer und schwerer, da der Mehrwert des Neuen wegfällt.
Nichtsdestotrotz ist Lizzie ein Film, der sich durchaus optisch und musikalisch lohnt. Die klaren Linien, die sauberen Schnitte und gedämpften Farben fangen das drückende Gefühl des Bordens-Haushaltes gelungen ein und den Hauptdarsteller*innen gelingt es, die Aufmerksamkeit mit Leichtigkeit auch über den gesamten Film zu fesseln. Doch ich wage zu behaupten, dass er bei Menschen ohne das kulturelle Wissen um den Fall weit weniger Wirkung erzielt als in den USA selbst. Dafür will der Film zu viel und verliert sich jedoch nahezu in einem Kammerspiel.

 

Bewertung

Spannung Rating: 3 von 5
Atmosphäre Rating: 3 von 5
Gewalt  Rating: 2 von 5
Ekel  Rating: 1 von 5
Story  Rating: 3 von 5

Bildquelle: Lizzie Borden © Concorde Home Entertainment

Horrorfilme… sind die Spannung und das Spiel mit menschlichen Abgründen, ein Spiegel der Gesellschaft, Zeugnis namentlicher Grauslichkeiten und Erkundung grauslicher Namenslosigkeiten. Mal tief und schwer und dann gern auch mal ein bisschen Zombie-Musical oder Blutbad dazwischen. Denn Horror und Lachflash schließen sich nicht zwingend aus.

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