Henry: Portrait of a Serial Killer
Kritik

Henry: Portrait of a Serial Killer (1986) – Review

Henry ist ein eiskalter, brutaler und dreckiger Serienkiller-Film. In seiner rohen Intensität immer noch einer der besten seiner Art.

Originaltitel:
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Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Cast:

Henry: Portrait of a Serial Killer
USA
83 Minuten
John McNaughton
John McNaughton, Richard Fire
Michael Rooker, Tracy Arnold, Tom Towles u.a.

Henry gehört zu jener Sorte von Filmen, deren Erstsichtung ich ewig vor mir herschiebe. Dem Film eilt ein fieser Ruf voraus, der mich zwar einerseits neugierig machte, aber andererseits die Skepsis immer weiter steigen ließ. Mit jedem weiteren „Ach, den schau ich ein ander Mal; heute lieber etwas Seichtes“ wuchs die Hürde. Doch eines Tages fühlte ich mich gewappnet es mit dem Monster aufzunehmen. Es wurde Zeit für meine erste Begegnung mit Henry, die ich nie wieder vergessen werde.

Der Serienkiller-Streifen von John McNaughton basiert auf dem Leben von Henry Lee Lucas. Lucas war nach dem Mord an seiner Mutter zehn Jahre im Gefängnis und wurde auf Grund überfüllter Gefängnisse 1970 wieder aus der Haft entlassen. 1971 wurde er für die versuchte Entführung von drei Schulmädchen erneut zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung lernte Lucas in einer Suppenküche Ottis Toole kennen und zwischen den beiden entwickelte sich eine sexuelle Beziehung.
1983 wurden Lucas wegen unerlaubtem Waffenbesitzes und Toole wegen Brandstiftung festgenommen. Lucas war zu diesem Zeitpunkt einer der Hauptverdächtigen in einem Mordfall, welchen er auch gestand. Jedoch nicht nur diesen, sondern sein Geständnis weitete sich auf 213 Mordfälle aus, was Lucas sehr angenehme Haftbedingungen bescherte und der Polizei viele gelöste Fälle. Toole stritt zuerst jegliche Beteiligung ab, begann aber später Lucas‘ Geständnisse zu unterstützen und behauptete Lucas bei 108 Morden geholfen zu haben. Lucas erhöhte die Anzahl der Morde zu einem Zeitpunkt gar auf 3.000.
Es ist bis heute unklar, wie viele Menschen Lucas und Toole wirklich ermordet haben. Beide wurden letztlich zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Henry Lee Lucas verstarb 2001 im Gefängnis an Herzversagen und Ottis Toole 1996 an Leberzirrhose.

Henry: Portrait of a Serial Killer
Die drei Protagonisten: Henry, Ottis und Becky

John McNaughton wurde von Maljack Productions (MPI) damit beauftragt, für 110.000 Dollar einen Horrorfilm zu drehen. McNaughton war klar, dass sich mit dem Budget nicht viel realisieren lassen würde und suchte nach kostengünstigen Ideen. Als er im TV einer Reportage über Henry Lee Lucas sah, hatte er die perfekte Idee gefunden. 1985 begannen die Dreharbeiten und um Geld zu sparen, wurde wo es nur geht auf Familie und Freunde zurückgegriffen und die Beteiligten stellten auch ihr eigenes Hab und Gut zur Verfügung, damit kaum etwas gekauft werden musste. Eine enge Freundin des Regisseurs kam auch in den „Genuss“, gleich drei Mordopfer spielen zu dürfen.

Das Resultat ist ein äußerst dreckiger Einblick in das fiktionalisierte Leben von Henry Lee Lucas und Ottis Toole. Aufgrund der spärlichen Mittel ist der Film sehr dokumentarisch inszeniert. Wir werden ohne jegliche Exposition in das Leben von Henry, seinem Kumpel Ottis und dessen Schwester geworfen und dürfen mit dem Trio ein paar Tage verbringen. Henry bietet keine konventionelle Dramaturgie. Wir beobachten Henry bei der Arbeit, beim Essen, beim Aufräumen, beim Morden, beim Ausgehen, beim Zerstückeln, beim Kartenspielen. Diese Erzählweise, die Inszenierung und besonders auch Michael Rookers eindringliches Spiel erzeugen eine ungeheure Atmosphäre und Gänsehaut. McNaughtons Henry ist dabei die Gegenthese zum hochstilisierten Slasher-Killer à la Freddy Krueger oder Jason Voorhees. Hier wird nicht mehr von einem Kill zum nächsten gejubelt und sich an den famosen Effekten ergötzt, sondern hier wird der Serienkiller wieder in die dreckige Realität zurück geholt. Henry ist kein supercooler Killer mit nem lockeren Spruch auf den Lippen. Bei Henry gibt es Mord ganz ohne Glanz und Gloria. Mord als dreckiges Handwerk.

Der Fokus liegt auf den drei Akteuren und deren Beziehung. Wer ist dominant, wer devot? Wo sind die Guten und wo die Bösen? John McNaughton bietet dafür Schablonen an, wiegt in Sicherheit, nur um diese kurze Zeit später wieder zu zerstören. Es ist schwer mit irgendwem in Verbindung zu treten – ich suche immer wieder nach einem moralischen Halteseil, nach Erklärungen in der Vergangenheit der Protagonisten, welche ich über die Gespräche zu rekonstruieren versuche. Dabei kann ich mir aber niemals sicher sein, was tatsächlich stimmt. In der Welt von Serienkiller Henry verschwimmen die Grenzen. Es bleibt vieles im Graubereich, genauso neblig wie die Motivation der Akteure. Dabei gelingt es McNaughton mit Bravour uns Henry immer wieder als Identifikationsfigur anzubieten, obwohl wir ihn auf Grund seiner Taten ablehnen müssten. Dies ist ein geschickter Schachzug, um uns zum Reflektieren zu zwingen. Über die eigene Kategorisierung von Gut und Böse, über Egoismus und Altruismus, über zurechtgelegte Erklärungsmechanismen und natürlich über den eigenen Konsum von Mediengewalt. Den letzten Punkt betont McNaughton noch einmal durch eine im Film genutzte Videokamera auf höchst perfide Weise.

Gefilmt von dieser Videokamera entsteht durch ihre realistische Rohheit und Authentizität eine der schockierendsten Szenen, die je für einen Horrorfilm gedreht wurden. Hier läuft der gesamte Nihilismus des Films in einer Szene zusammen und macht das gesamte Publikum zum Komplizen. Es war auch genau diese Szene, die Fred Vogel zu seiner Pseudo-Snuff-Reihe August Underground inspirierte.

Henry: Portrait of a Serial Killer ist eines der ganz großen Meisterwerke des Serienkillerfilms. Als Gegenthese zum Slasher und als Reflexion über die Rezeption von Mediengewalt kann der Film gar nicht genug gelobt werden. Aber auch davon abgesehen ist der Film ein gnadenloser, harter Schlag in die Magengrube, der den Zuschauer geistig niederstreckt. Authentischer, grausamer und dreckiger hat man Serienkiller selten gesehen.

 

Bewertung

Spannung Rating: 3 von 5
Atmosphäre Rating: 4 von 5
Gewalt  Rating: 5 von 5
Ekel  Rating: 2 von 5
Story  Rating: 4 von 5

Bildquelle: Henry: Portrait of a Serial Killer © Bildstörung

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

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