Children Who Chase Lost Voices
Kritik

Children Who Chase Lost Voices (2011) – Review

Heute gibt es von uns nicht den neuesten Horror-Schocker, sondern etwas für die Anime-Freunde unter euch und jene, die es noch werden wollen – denn Children Who Chase Lost Voices ist ein kleines Meisterwerk.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:

Hoshi o ou kodomo
Japan
116 Minuten
Makoto Shinkai
Makoto Shinkai

Eines Sonntag Nachmittags saß ich in einem dunklen Kino und bestaunte gezeichnete Lichtspielereien, während ein Kind hinter mir mit ständigen Fragen seinen Papa auf Trab hielt. Es schien wohl das einzige Kind in der gesamten Vorstellung zu sein. Einer Vorstellung, die Teil das /slash Filmfestivals war, welches sich als breit gefächertes Horrorfilmfestival bei den österreichischen Gruselfans einen Namen machen konnte. Dementsprechend war der Saal voll mit horrorerprobtem Genrepublikum. Dazu gesellten sich jedoch auch ein paar Japaner, die die Chance nutzten einen Film in ihrer Muttersprache sehen zu können. Und eben auch ein Vater mit seinem Kind, welches nicht müde wird, seinen Erzeuger mit Fragen zu löchern. Dem Vater wurde die Situation schon langsam sehr unangenehm und flüsterte leise zurück. Wirkt sich so eine Situation im Normalfall eher negativ auf mein Kinoerlebnis aus, da ich meine Filme gerne in Ruhe und ohne Ablenkung genieße, so war es mir in diesem Moment egal – sogar ganz im Gegenteil, es beförderte mich direkt in die ländlichen Gefilden Japans. Denn der Junge und sein Vater unterhielten sich auf japanisch und ich war nicht mehr in einem dunklen Kinosaal, ich war unterwegs mit Asuna, vor uns das große Abenteuer, um uns herum japanisches Stimmengewirr.

Dieses Abenteuer beginnt als die junge Asuna eines Tages von einem seltsamen Monster angegriffen wird und nur in letzter Sekunde von einem unbekannten Jungen gerettet werden kann. Der Junge heißt Shun und erzählt Asuna, dass er aus dem sagenumwobenen, unterirdischen Land Agartha komme. Als der Junge am nächsten Tag verschwunden ist, macht sich Asuna auf die Suche nach ihm und dem geheimnisvollen Heimatland des Jungen …

Shinkai auf den Spuren Miyazakis

Makoto Shinkai war vor diesem Film in erster Linie für seine ruhigen, poetischen Werke wie 5 Centimeters Per Second bekannt und ging hier neue Wege. Es ist unverkennbar, dass für diesen Film die Werke von Hayao Miyazaki und das Studio Ghibli Pate standen. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass sich Shinkai einer spirituellen, mythologischen Welt zuwendet und diese so eindrucksvoll bebildert, wie man es zuvor in erster Linie von Ghibli kannte. Shinkai zollt damit auch einem der einflussreichsten japanischen Studios Tribut. Ein Tribut an Miyazaki und ein Tribut an Shinkais Lieblingsfilm Das Schloss im Himmel. Aber auch wenn Children Who Chase Lost Voices deren Geist atmet, ist er jedoch weit davon entfernt eine reine Kopie zu sein – er ist 100% Makoto Shinkai mit all seinen Eigenheiten. Dies zeigt sich zum Beispiel durch die für Shinkai typische Detailverliebtheit der Hintergrundzeichnungen, welche zu diesem Zeitpunkt konkurrenzlos waren. Das Genre des Abenteuer-Fantasyfilms erlaubt es ihm sich visuell voll auszutoben. Egal ob die Hügellandschaft um ein japanisches Städtchen oder die Unterwelt Agartha, allein die Zeichnungen zu bestaunen, macht den Film sehenswert.

Children Who Chase Lost Voices

In seiner ausladenden Erzählweise kann Hoshi O Ou Kodomo, so der Originaltitel, nicht mit so viel poetischer Schönheit aufwarten, wie 5 Centimeters Per Second dies damals vermochte und mich in seinen Bann zog. Die Poesie weicht dem Epos. 65 Minuten gegen 116. So will Shinkai auch die ganz großen Gefühle auspacken und zeichnet auf der einen Seite eine grausame Welt rund um Trauer, Sehnsucht, Verzweiflung, Verrat, Einsamkeit, Wahn, Tod und Verfall. Auf der anderen Seite erzählt er jedoch auch eine Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verbundenheit, Heimat und Geborgenheit. Dazu kommt noch die Verknüpfung mit allerlei mythologischen und religiösen Verweisen, wodurch der Anime zeitweise etwas überfrachtet wirkt.

Dies trübt mein Sehvergnügen jedoch in keiner Weise, denn schlussendlich legt sich eine melancholische Grundstimmung um den Film, jene für Shinkai so typische poetische Melancholie, die für mich den Film abrundet. Wie der zum Abschluss erklingende J-Pop-Song hat sich auch der Film in mein Hirn gebrannt und mich bis heute nicht losgelassen. Ein wundervolles Werk, das ich allen Anime-Fans und jenen, die es noch werden wollen, ans Herz legen möchte.

 

Bewertung

Spannung Rating: 2 von 5
Atmosphäre Rating: 5 von 5
Gewalt  Rating: 1 von 5
Ekel  Rating: 0 von 5
Story  Rating: 3 von 5

Bildquelle: Children Who Chase Lost Voices © KAZÉ Anime

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

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