Jörg Buttgereit
Interview

Interview mit Jörg Buttgereit (Nekromantik, Der Todesking) (Teil 3 von 3)

Wir hatten das Vergnügen mit Jörg Buttgereit ein Interview zu führen und haben über seine Arbeit als Filmkritiker, das berüchtigte Videodrom in Berlin, Streaming, seine Theaterstücke und vieles mehr gesprochen.

Unser Autor Thomas hatte sich mit Jörg Buttgereit in Berlin getroffen, um über ihn und sein künstlerisches Schaffen zu plaudern. Dabei hat uns der Autor, Kritiker und Film-, Theater- und Hörspielregisseur einige spannende Einblicke gewährt.

Falls ihr den ersten und zweiten Teil des Interviews über Zensur, Nekromantik, Monster- Lieblings- und provokante Filme verpasst habt, könnt ihr dies hier und hier nachlesen. Viel Spaß!


Du bist selbst Filmkritiker, liest du gerne Kritiken zu deinen eigenen Filmen?

Jörg ButtgereitFrüher habe ich sie gelesen. Wenn die Filme neu sind, lese ich die, weil ich mitkriegen will, wie das bei Leuten ankommt. Also nicht im Sinne, ob es ihnen gefällt, sondern ob es verstanden wird und was sie daraus machen. Das finde ich lustig. Ich erinnere mich daran, dass die erste Kritik zu Nekromantik hier in Berlin Anfang ‘88 in der Siegessäule erschien, das ist so ein Schwulenmagazin. Und die schrieben, das sei der erste Film über AIDS, weil die Protagonistin da mit einer Leiche ins Bett geht. Da hätte ich im Leben nicht dran gedacht. Das hat sich auch nicht gehalten, diese These. Das hat nie wieder danach jemand geschrieben. Inzwischen wurden schon sehr viele verschiedene Sachen geschrieben, aber das nicht. Das heißt, ich lese Kritiken, wenn sie relativ neu sind, aber wenn heute was veröffentlicht wird, flieg ich da vielleicht mal drüber, was da so geschrieben wird, aber die sind ja auch schon so alt diese Schinken und die Leute schreiben auch oft dasselbe. Früher wurden diese Sachen auch ganz anders besprochen. Früher wurden die Sachen als Filme aus der Gegenkultur – als was Gefährliches – besprochen. Heute sind das Filme, die die Leute ganz normal bei Amazon bestellen können. Das wäre früher undenkbar gewesen.

Und Leute, die das heute so gucken, die tun ja so, als wenn es das Normalste der Welt ist. Die gehen ganz anders heran, die redigieren die Filme nach ihrem Unterhaltungsprinzip oder dem Exploitationpotential. Ich langweile mich da einfach, wenn ich die Kritiken lese, weil die Werke einfach zu alt sind.

Wie viele Kritiken schreibst du im Schnitt?

Ich schreibe jeden Monat eine. Seit ein paar Jahren. Tip und zitty mache ich sehr selten. Aber für Deadline mache ich auch ‘ne Kolumne ab und zu und für EPD Film, für die schreibe ich auch manchmal. Es ist oft so, dass ich Anfragen bekomme und dann sage, dass ich nicht kann, wenn ich gerade an einem Theaterstück sitze oder so. Von Filmkritiken kann man ja nicht leben. Die zahlen ja nicht viel.

Du hast dich für die geschichtsträchtige Videothek Videodrom in Berlin stark gemacht. Wie siehst du allgemein das fortlaufende Sterben von Videotheken und die Entwicklung hin zu vermehrtem Konsum von Streamingdiensten wie Netflix, Amazon, Shudder etc.?

Also diese Hinwendung zu Streamingdiensten wird man nicht aufhalten können. Um so Buden wie Videoworld ist es auch nicht schade. Aber Videodrom würde ich eher wie eine Bibliothek einschätzen. Das ist eine riesige Sammlung, die mit Sachverstand aufgebaut worden ist und ich bin eigentlich der Meinung, dass so etwas heutzutage eben vielleicht eher eine staatliche Förderung bekommen sollte, als der neue Til-Schweiger-Film. Weil da eine richtige Arbeit dahinter steckt, wie sie auch eine Staatsbibliothek oder so macht. Nur dass eben Video noch nicht so diesen Stellenwert hat. Aber der hat Filme, die es auch noch nicht online gibt und der kennt die alle und der hat einen Sachverstand, der dahinter steht.

Mittlerweile sind es auch nur noch zwei oder drei Leute, aber im Grunde steckt da ein Mann dahinter: Graf Haufen, so ist sein Spitzname. Mich verbindet halt mit diesem Laden auch viel, weil meine Filme da damals schon, 1989, ausgeliehen wurden. Der hat im Grunde mit meinen Filmen aufgemacht, so halbwegs. Und meine Filme gibt es da heute immer noch und das ist toll. Und die Staatsanwaltschaft hat den ja mal zugemacht, weil er so viele Filme hatte, die keine deutsche FSK hatten, weil er die ausländischen Fassungen hatte. Und das hat ihn eine Menge Geld gekostet. Und dieses Geld müssten sie ihm jetzt eigentlich zurückzahlen. Dann wäre er aus seinen Schulden wieder raus, was ihn das damals gekostet hat. Aber deswegen habe ich mich da starkgemacht. Also im Radio habe ich da auch was drüber gemacht, genau.

Und deine Meinung zu Streamingdiensten?

Ich kann verstehen, dass den Produzenten von Filmen oder so Buden wie Amazon das lästig ist, irgendwelche Sachen per DHL durch die Gegend zu schicken, die dann sonst wo ankommen, nur nicht da, wo sie hin sollen. Und die beliefern dich halt lieber per Knopfdruck, online. Ich kann das verstehen, aber mir fehlt dabei das Haptische.

Also ich hab den Captain Berlin vs. Hitler, den kann man auch bei Amazon gucken, den habe ich an so eine Plattform gegeben, die aus dem frühen Punkrock-Umfeld, aus dem Eiszeit-Kino kommt. Da kenne ich noch Leute, die machen jetzt so eine Plattform, die heißt EYZ und den habe ich Captain Berlin gegeben und die haben jetzt wohl irgendeinen Deal mit Amazon gemacht. Aber Rechnungen, die da kommen vier Mal im Jahr, das sind dann so sechs oder sieben Euro. [schmunzelt]

Der letzte Godzilla-Film zum Beispiel, die haben nach Shin Godzilla so einen Animations-Godzilla (Godzilla: Planet der Monster Anm. d. Red.) gemacht. Der ist in Deutschland nur über Netflix, also weltweit eigentlich über Netflix verbreitet worden. Da musste ich jetzt zu nem Freund fahren, um mir den mal anzusehen, weil der Netflix hat. Und irgendwie warte ich jetzt wahrscheinlich vergebens, dass der in Deutsch auch raus kommt auf DVD. Dann würde ich ihn mir kaufen aber so… irgendwie habe ich dieses Selbstverständnis nicht, für etwas zu bezahlen, das ich danach nicht mehr habe. Also das ist wie ins Kino gehen, aber im Kino ist es natürlich größer und anders. Und ich bin ja auch in der komfortablen Lage mir immer Pressevorführungen von Filmen anzusehen. Das heißt, ich sehe ja schon total viele Filme, bevor die ins Kino kommen. Also, auch bevor die bei irgendwelchen Streamingdiensten landen, das heißt, ich bin da gar nicht drauf angewiesen.

Welche Themen sollten deiner Meinung nach öfter den Weg auf die Leinwand finden?

Das kann man nicht generell beantworten. Weil je nachdem, in welcher Zeit man lebt, andere Themen relevant sind. Insofern wäre es wichtig, Filme zu machen, die noch etwas über das Hier und Heute erzählen können. Es wundert mich ja bei meinen alten Filmen, also Nekromantik und Todesking jetzt in England, dass die jetzt eigentlich eine Veröffentlichung haben, die viel größer ist als das, was damals, als die Filme neu waren, passiert ist. Das ist merkwürdig. Das verstehe ich selbst nicht, warum die Leute da heute noch was mit anfangen können. Für mich sind das wirklich Filme, die doch sehr den Geist der 80er atmen.

Also wir machen ja unsere Witzchen drüber. Wir haben auch so eine Actionfiguren-Edition gemacht, zum 30-jährigen Jubiläum. Die sind von so einem Künstler handgemacht. Auflage 30 Stück. Die waren innerhalb von 30 Minuten komplett ausverkauft.

Nekromantik

Wie sind deine Pläne für die Zukunft, egal ob Film, Theater, Hörspiel oder was ganz anderes?

Das letzte Aktuelle, was ich gemacht habe, war das Hörspiel für den WDR „Summer of Hate“. Aber das ist jetzt fertig, das ist durch sozusagen und jetzt bin ich wieder an einem Theaterstück dran, so ein bisschen angelehnt an Berberian Sound Studio. Das ist ein britischer Film von 2012 über einen Engländer, der nach Italien eingeladen wird in den 70ern, um Horrorfilme zu vertonen und das ist eine Verbeugung vor dem Giallo-Genre, also vor den ganzen frühen Argento-Sachen und so. Und der Theaterleiter in Dortmund hat den Film vor Kurzem gesehen und meinte so etwas ähnliches müsste man doch auch fürs Theater machen und davon ausgehend werde ich jetzt ein Theaterstück machen, das „Im Studio hört dich niemand schreien“ heißen wird. Und da ist die Premiere am 16. September in Dortmund. Da habe ich heute gerade die erste Fassung für das Manuskript fertiggestellt und an die Dramaturgen in Dortmund übergeben, die da jetzt mit ihrem geschulten Theaterblick drüber gehen und schauen, ob das geht. Ich versuche ja die ganzen Genresachen, die Filmnerds wie wir so im Kopf haben, die versuche ich ins Theater zu überführen und in die Hochkultur und ich hab mir da in Dortmund schon ein Stammpublikum herangezüchtet. Also die Produktionen laufen für gewöhnlich ein Jahr, so 2 bis 3 Mal im Monat und die Auslastung ist bei 100%. Das ist immer ausverkauft, das ist total super.

Du hast ja auch Nosferatu adaptiert.

Ja, das war total lustig.

Der wird wahrscheinlich nicht mehr aufgeführt?

Nein, das ist vorbei. Das einzige, was davon übrig ist, ist ein relativ liebloser Mitschnitt von einer Kamera, die einfach hinten im Theater stand. Das ist aber nicht offiziell, das ist nur für interne Zwecke.

Den Exorzisten hast du auch noch gemacht, oder?

Vor zwei Jahren habe ich „Besessen“ gemacht, ja, ich hab da schon jede Menge Stücke gemacht.

Man müsste in Dortmund wohnen.

Oder im Ruhrpott. Letztes Mal war ich in Essen, weil in Dortmund Baumaßnahmen stattgefunden haben und dieses Studio, also dieser kleine Experimentiersaal, in dem ich immer meine Stücke mache, der war zu und da haben die mich gleich aus Essen gefragt, ob ich nicht da ein Stück mache. Da habe ich „Die lebenden Toten“ gemacht. Das ist eigentlich ein Stück über die Flüchtlingskrise von einem Schweden, und das heißt auch „The Living Dead“, aber ich hab’s dann wirklich total auf Romero runtergebrochen und das dann auch in einem Einkaufszentrum spielen lassen. Das war ein wirklich schwieriges Stück, aber es hat ganz gut funktioniert.

Aber das ist doch wahnsinnig aufwendig, wenn ich mir allein nur das Bühnenbild von Captain Berlin anschaue, was da alles dazugehört.

Das war ja auch hier in Berlin im HAU im großen Saal. Da drüben sind die Bühnenbilder etwas kleiner, in Dortmund, weil es nur ein 100-Platz-Saal ist, aber dafür ist man eben geil nah dran. Ich hab da mal den Elefantenmenschen gemacht – 2014 oder so – und da haben wir einfach, weil der Raum ist auch frei gestaltbar, man kann auch die Zuschauer hinsetzen wo man will, wir haben dann alle im Kreis gesessen, das war dann wie so ne Zirkusveranstaltung und die konnten den Elefantenmenschen anfassen, das war schon super. Das hat so eine ganz andere Unmittelbarkeit.

Ja, du lässt dir aber auch gut was einfallen. Von „Summer of Hate“ war ich total begeistert, das habe ich mir mehrere Male angehört. Über die Geschichte von Manson hat man viel gehört, aber das waren ja Originalaufnahmen, die da verwendet wurden und auch „Die Bestie von Fukushima“ war echt gut. Kannst du uns darüber was erzählen?

Bei „Summer of Hate“ sind das zum Teil so Snippets, um zu untermauern, dass das auch alles stimmt, was ich da zusammen schreibe. „Die Bestie von Fukushima“ ist ja zum Teil fiktional aber bei „Summer of Hate“ habe ich versucht, möglichst bei der Wahrheit zu bleiben. Ich habe auch schon – also bevor ich Nekromantik gemacht habe – jede Menge Bücher über Manson  gelesen. Das hatte ich dann noch drauf. Und als ich gehört habe, dass Tarantino jetzt einen Film über die Manson-Morde macht, da habe ich mir gedacht, in dem Moment kann man so etwas dem WDR auch anbieten. Wenn die wissen, okay Tarantino macht da was drüber, dann hat das einen viel größeren gesellschaftlichen Wert – man muss die Ideen ja auch verkaufen. Und als ich das Stück gerade fertig geschrieben hatte, ist der Manson gestorben, sodass es dann noch mal wieder aktueller wurde. Bei Fukushima war das genauso. Da habe ich davor ein Stück gemacht, das hieß „Green Frankenstein“, aus dem habe ich für Dortmund auch mal ein Theaterstück gemacht, das sollte genau im Radio laufen, kurz nachdem die Katastrophe von Fukushima passiert ist. In dem Stück geht es auch um Monster in Japan, die aus dem Meer kommen und so was und da hat der WDR kalte Füße bekommen und sie haben das Projekt gekippt und erst ein halbes Jahr später gesendet. Da habe ich zu denen gesagt, ihr hättet jetzt die Chance endlich mal aktuell zu sein – der Vorlauf von so einem Theaterstück ist ja fast ein Jahr – also mache ich mal ein Stück, dass sich wirklich direkt darauf bezieht und das könnt ihr dann jedes Mal wiederholen, wenn sich das Unglück jährt oder so [lacht]. Dann gab die Redakteurin mit der ich meistens zusammen arbeite ihr Okay. Dann ist die aber in den Mutterschaftsurlaub oder so gegangen und der Redakteur, der das dann bearbeiten sollte, hat auch schon wieder kalte Füße bekommen und auch dieses Stück sollte beinahe wieder gekippt werden. Genau dieses Reale, was für mich so dringlich erscheint, ist für die Redaktion oft eher beängstigend. Die haben dann Angst, dass sich irgendjemand beschwert, dass es geschmacklos wäre.

Dann sage ich vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast und wünsche dir weiterhin viel Erfolg auf den Theaterbühnen und bei deinen vielen anderen Projekten!

 

Das Interview wurde von Thomas Ortlepp geführt und von Heike Fleischmann transkribiert.

Titelbild: Vera de Kok (CC BY-SA 4.0)

Horrorfilme sind für mich ein Tor zu den unheimlichen, verstaubten Dachböden und finsteren, schmutzigen Kellern der menschlichen Seele. Hier trifft man alles von der Gesellschaft abgeschobene, unerwünschte, geächtete, begrabene: Tod, Schmerz, Angst, Verlust, Gewalt, Fetische, Obsession. Es ist eine Entdeckungsreise auf die "Schutthalde der Zivilisation". Auf diese Reise würde ich euch gerne mitnehmen.

...und was meinst du?