The Bad Seed
Kritik

Böse Saat (1956) – Review

Böse Saat bietet uns eine der stärksten schauspielerischen Leistungen eines Kindes in der Geschichte des Horrorfilms – und das ist nicht der einzige Grund, warum ihr euch den Film unbedingt ansehen solltet.

Originaltitel:
Land:
Laufzeit:
Regie:
Drehbuch:
Vorlage:
Cast:

The Bad Seed
USA
129 Minuten
Mervyn LeRoy
John Lee Mahin
Roman von William March, Theaterstück von Maxwell Anderson
Nancy Kelly, Patty McCormack u.a.

ACHTUNG! Spoiler voraus!

Nachdem sich ihr Mann zum auswärtigen Militärdienst verabschiedet hat, bleibt Christine Penmark (Nancy Kelly) mit ihrer Tochter Rhoda (Patty McCormack) zurück in ihrem Apartment. Rhoda ist ein überaus liebenswertes achtjähriges Mädchen; mit ihren blauen Augen, ihren blonden Haaren und ihrem süßen Lächeln erscheint sie wie ein kleiner Engel. Auch die Vermieterin hat ihr Herz an den kleinen, blonden Engel verloren und macht ihr ein Geschenk. Da erzählt das Mädchen, während es auf ihren Schuhen durch die Wohnung steppt, von einem Schreibwettbewerb in ihrer Schule. Sie ist enttäuscht darüber, dass sie von einem Klassenkameraden übertroffen wurde. Denn der hat damit ihr einen Preis weggeschnappt, den sie unbedingt gewinnen wollte. Für einen kurzen Augenblick zeigt sich in ihrem Gesicht ein Anflug von blanker Wut. Rhoda verlässt die beiden zu einem Schulausflug am benachbarten See, wo wenig später eines der Kinder verunglückt. Das muss Christine, die seit jeher das Gefühl hat, nicht in ihre Familie zu passen, erfahren, als sie mit Freunden zusammensitzt und dabei Radio hört. Scheinbar zufällig handelt es sich dabei um eben den Jungen, der den Wettbewerb gewann. Christine befürchtet nun, dass ihre Tochter traumatisiert sein könnte, doch an der ist der tragische Vorfall anscheinend spurlos vorbeigegangen, sie ist sogar hungrig, als sie zurückkommt. Schließlich besucht Rhodas Lehrerin die beiden und verdächtigt Rhoda, an dem Unfall beteiligt zu sein. Kurz darauf trifft die völlig betrunkene Mutter des Jungen, Agathe Daigle (Eileen Heckart) in dem Apartment ein, die Rhoda beschuldigt, etwas zu verheimlichen. Und dann ist da noch der leicht debile Hausmeister Leroy (Henry Jones), der Rhoda ganz und gar nicht mag. Eine Antipathie, die das Mädchen durchaus erwidert…

1954 wurde William Marchs Roman „The Bad Seed“ zu einem von den Kritikern hochgelobten Bestseller. So war es nicht verwunderlich, dass daraus unter der Federführung des Pulitzer-Preisträgers Maxwell Anderson (Im Westen nichts Neues) ein Theaterstück entstand, das zu einem großen Erfolg am Broadway wurde. Das Stück wurde 334 mal mit derselben Besetzung aufgeführt und für den Pulitzer-Preis nominiert. Nancy Kelly, die auch im Film die Rolle der Mutter spielt, wurde für ihr Spiel mit dem Tony ausgezeichnet, dem wichtigsten Preis im amerikanischen Theater. Der legendäre Billy Wilder (Manche mögen’s heiß) wollte den Stoff originalgetreu verfilmen, scheiterte mit seinen Plänen jedoch an dem Hays Code, der den Studios rigorose Regeln diktierte. Dies lag vor allem an dem düsteren Ende des Stückes, das Wilder beibehalten wollte. Dann bemühte sich Paul Henreid (Casablanca) vergeblich um eine Verfilmung, er wollte den Film selbst inszenieren und die Rolle der Mutter mit Bette Davis (Was geschah wirklich mit Baby Jane) besetzen. Hierauf trat Mervyn LeRoy auf den Plan, der u.a. für die überaus erfolgreiche Romanverfilmung von „Quo Vadis“ verantwortlich zeichnete und kurz zuvor die starbesetzte Kriegs-Komödie Keine Zeit für Heldentum drehte. Er hatte das Theaterstück gesehen und es hatte ihm außerordentlich gefallen. John Lee Mahin, mit dem LeRoy u.a. An Der Zauberer von Oz und Quo Vadis arbeitete, schrieb für ihn ein Drehbuch, das neben neuen Außenszenen (das Stück spielte nur in dem Apartment) ein positives Ende beinhaltete und sich somit an die Regeln des Hays Codes hielt; das Drehbuch wurde genehmigt. Auch wenn mit dem neuen Ende die Wirkung der Geschichte deutlich entschärft wurde. Kurzfristige Pläne, wie den Film von Alfred Hitchock (Psycho) inszenieren zu lassen oder die Rolle der Mutter mit Rosalind Russell (His Girl Friday – Sein Mädchen für besondere Fälle) zu besetzen, wurden verworfen. LeRoy, der den Film auch für Warner Bros. produzierte, übernahm schließlich sechs Schauspieler des Stücks und die Regie, er brachte zudem auch seinen profilierten Stamm-Kameramann Harold Rosson mit. Böse Saat ist ein Film über Charaktere, über deren Relationen, im weiteren Sinne über das Böse im Menschen, und somit stehen die Schauspieler völlig im Mittelpunkt des Geschehens.

The Bad Seed
Die böse Saat gespielt von Patty McCormack mit Filmmutter Nancy Kelly

Patty McCormack, die mit zwölf Jahren auch nach eigener Aussage mit Rhoda die Rolle ihres Lebens spielte, glänzte in dem Stück als kleiner, blonder Engel mit zwei Gesichtern. Beide Gesichter zeigt sie in dem Film mit einer derartigen Intensität, dass sie, wie Nancy Kelly und Eileen Heckart, für den Oscar nominiert wurde. Selten im Film war ein Kindergesicht zugleich so engelsgleich bezaubernd und so teuflisch erschreckend. In einem 2004 anlässlich der DVD-Veröffentlichung geführten Interview erwähnte Patty McCormack, wie dankbar sie dem Theater-Regisseur dafür ist, dass er dieses Mienenspiel aus ihr herauslockte, welches sie auch in den Film übertragen konnte. Es drängt sich förmlich der Eindruck auf, dass hinter der Fassade des braven, goldigen Kindes tatsächlich eine eiskalte Soziopathin lauert. Selten hat eine Kinderschauspielerin in einem Genre-Film derart überzeugt.
Nancy Kelly in der Rolle der Christine Penmark durchlebt eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Die führt sie von der Liebe zu ihrem Mann und ihrem Kind, der aufkeimenden Furcht vor dem Verlust des Kindes, über den Schock, als sie sich mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen muss bis zum totalen inneren Zusammenbruch mit fataler Konsequenz, als sie mit der wahren Natur ihres Kindes konfrontiert wird. Sie glänzt in dieser ebenso kompakten wie komplizierten Rolle, die sie während der Aufführungen am Theater perfektionierte und versteht es, dem Zuschauer diese Gefühle zu vermitteln.
Beinahe noch schlimmer als Nancy Kelly erging es Eileen Heckart in ihrer Rolle als Agathe Daigle. Sie musste in ihrer kurzen wie prägnanten Rolle als betrunkene, vom Verlust gekennzeichnete, hilflos ihrem Schicksal gegenüberstehende Mutter eine seelische Tortur erfahren und dies als Schauspielerin ganze 335 Mal – Proben nicht inbegriffen. In dem erwähnten Interview sagte Patty McCormack, sie wusste nicht, wie Heckart es schaffte, diese Rolle zu spielen. Je tiefer ein Schauspieler in einer Rolle steckt, umso mehr fühlt er mit dem Charakter. Bei so vielen Auftritten mag eine gewisse Routine vorhanden sein, auch Distanz, doch auch eine gewisse Empathie für die eigene Rolle. Ihre Qualen lohnten sich allerdings, denn neben einem Golden Globe und einer Oscar-Nominierung für Böse Saat erhielt sie auch einen Tony für ihr Lebenswerk.

The Bad Seed
Eileen Heckard und Nancy Kelly

Auch wenn der Saatboden allen Übels weit hergeholt und wissenschaftlich widerlegt ist, so versteht der Film es doch, mit den Relationen seiner Charaktere zu fesseln, zumal er die wissenschaftliche Ebene sogar bricht. Die Relationen sind verständlich, die Handlungen nachvollziehbar, die Dialoge sitzen und die schlussendliche Tragödie trifft. Die Thematik der „bösen Saat“ war damals schockierend und verstörend, weshalb der Film in Deutschland beispielsweise auch eine 18er-Freigabe erhielt. An der Freigabe hat sich bis heute nichts geändert.

Wie auch Patty McCormack war Nancy Kelly leider der ganz große Erfolg als Filmschauspielerin nicht vergönnt, immerhin konnte sie aber den Love Interest von Hollywood-Legende Tyrone Power in dem 1939er Western-Klassiker Jesse James, Mann ohne Gesetz spielen. Trotz der Oscar-Nominierung spielte Nancy Kelly danach nie wieder eine Rolle in einem Kinofilm. Patty McCormack spielte eine ähnlich angelegte Rolle in dem 1995er B-Horrorfilm Mommy und dessen Sequel; beide werden gelegentlich als inoffizielle Fortsetzungen geführt. Darüber hinaus war sie als Pat Nixon in Frost/Nixon und zuletzt in Paul Thomas Andersons The Master zu sehen. Leider erfuhren beide Schauspielerinnen niemals die Wertschätzung der Filmwelt, die sie auch wegen diesem Film verdient gehabt hätten. Besser erging es Eileen Heckart, die seit den 1950ern immer wieder an der Seite großer Hollywood-Stars spielte, so neben Marilyn Monroe in Bus Stop, Paul Newman in Die Hölle ist in mir und Clint Eastwood in Heartbreak Ridge, auch war sie in dem Horrorfilm-Klassiker Landhaus der toten Seelen zu sehen.

Zu erwähnen ist auch das wunderbare Zusammenspiel von Henry Jones und Patty McCormack. Jones stand am Anfang seiner vierzigjährigen Karriere, die ihn in große Klassiker wie Vertigo und Butch Cassidy und Sundance Kid führte. Als debiler, ungebildeter und eher unangenehmer Hausmeister, pflegt er seine Beziehung zu Rhoda ausgiebig, was ihm zum schauerlichen Verhängnis wird. In der Realität war Jones übrigens das komplette höfliche, gebildete Gegenteil und sogar darauf bedacht, Patty McCormack die Bedeutung einer guten Schulbildung nahezubringen.

Böse Saat
Patty McCormack und Henry Jones

Neben den schauspielerischen Glanzleistungen war auch die Besetzung von Harold Rosson als Kameramann ein Glücksgriff für Mervyn LeRoy. Rosson arbeitete u.a. an Vom Winde verweht, El Dorado und Du sollst mein Glücksstern sein. Er erhielt für seine Arbeit eine Oscar-Nominierung, die insgesamt fünfte seiner Karriere. Die Kamera begleitet die Schauspieler zurückhaltend und wirkt wie das Auge des Zuschauers, der die Schauspieler auf der Bühne betrachtet, auf der sie spielen. Besonders hervorzuheben ist auch eine Szene, in dem ein Charakter ein besonders grausames Schicksal widerfährt, was von zwei glänzend mit der Kamera eingefangenen Schauspielerinnen verbal begleitet wird. Denn auch wenn der Film einige Härten bieten könnte und dies auch in psychologischer Sicht erfüllt, zeigt er die Gewalt nicht, sondern beschreibt sie ausführlich, was ihn in meinen Augen noch einmal wertvoller macht. Häufig ist die eigene Fantasie schlimmer als das, was gezeigt werden kann. Zumal der Film ein Produkt seiner Zeit ist, 62 Jahre gehen an einem Film nicht spurlos vorbei. Das Tempo könnte manche stören, denn der Film nimmt sich Zeit, die Dialoge stammen aus den 1950ern, und er setzt nicht auf vordergründige Effekte. Allerdings ist der Film ein Werk, das bis heute wenig, wenn nicht gar nichts von seiner psychologischen Kraft eingebüßt hat. Effekte und Technik mögen sich entwickeln; Gefühle, Sehnsüchte, und Ängste sind wenn auch den Umständen unterworfen so doch zeitlos. Menschen bleiben Menschen. Und menschliche Monster bleiben menschliche Monster, ob klein oder groß. Die Qualität, dies spürbar zu vermitteln, besitzt der Film und dies macht ihn zu einem großartigen Klassiker des Horrorfilms.

 

Bewertung

Spannung Rating: 3 von 5
Atmosphäre Rating: 4 von 5
Gewalt  Rating: 1 von 5
Ekel  Rating: 0 von 5
Story  Rating: 4 von 5

Bildquelle: Böse Saat © Warner Bros.

Horrorfilme sind eines der Genres des Films, den ich in seiner Gesamtheit seit meiner frühesten Kindheit und der ersten Begegnung mit den Kreaturen des Ray Harryhausen fast schon abgöttisch liebe. Im Horrorfilm taucht der Zuschauer nicht nur bis zu den Abgründen der menschlichen Seele, sondern häufig weitaus tiefer.

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